‘Je croyais entendre une vague harmonie enchanter mon sommeil’… ‘une vague harmonie’, eine undeutliche Harmonie glaubte ich zu vernehmen…dieses Undeutliche am Anfang des ersten Stückes aus ‘Gaspard de la nuit’ wurde wohl selten in einer Interpretation so deutlich wie bei Vincent Larderet. Er lässt uns in einen Unterwasserfilm eintauchen, zuerst ist das Bild diffus, dann gewinnen die Bewegungen der Meerjungfrau an Klarheit, sie mischen sich mit denen der Ondins, ‘Chaque flot est un ondin qui nage dans le courant’. Larderet lässt die Musik dreidimensional werden, Ondine und die Ondins schwimmen auf verschiedenen Ebenen, näher und weiter weg, das musikalische 3D ergibt eine wunderbar evokative Interpretation!
Nicht weniger faszinierend ist die dynamische Variierung der Glockenklangs im ‘Gibet’. Eine so zwingend schaurig mysteriöse und unerbittliche Atmosphäre haben in diesem Stück nicht viele Pianisten erzielt, nicht einmal Ravel selber, der zwar wie Larderet dem Glockenklang allerhöchste Priorität einräumt, aber mit einer Minute weniger Spielzeit vieles an Stimmungen verschenkt. Aus diesem Richtplatz-Bild läuft ‘Scarbo’ zu höchster Virtuosität auf, wobei das Unregelmäßige des torkelnd umher fliegenden Gnoms besonders gut herausgearbeitet wird. Hier wie in den beiden anderen ‘Gaspard’-Stücken gelingt Larderet also eine sehr bildhafte Umsetzung der Musik.
Die drei Auszüge aus dem Ballett ‘Daphnis et Chloé’ sind Transkriptionen für das Klavier, die Ravel selber angefertigt hat, die Larderet aber für diese allererste Aufnahme dieser Stücke noch zusätzlich bearbeitet hat. Die Interpretationen sind pianistisch sehr beeindruckend und stimmungsvoll.
Eine wunderbar differenzierte Gestaltung, sehr transparent, sehr klar, macht die ‘Jeux d’eau’ zu einem pianistischen Genuss.
Seit Glenn Gould den Beginn der ‘Valse’ am Klavier karikatural mechanisierte, glauben viele Pianisten, in die Fußstapfen des Kanadiers treten zu müssen, wodurch das Stück mehr oder weniger zu einem atemlosen Geschwindmarsch degeneriert. Vincent Larderet arbeitet mit sich verändernden Beleuchtungen, mit wechselnden Kameraeinstellungen, mit changierenden Bewegungsabläufen und einer breiten Farbpalette, und lässt das Ganze sich unaufhaltsam drehend dem Chaos entgegensteigern, als Ravels mitten im Ersten Weltkrieg entstandenes Antikriegsmanifest sozusagen, wenn nicht gar als Vorahnung der braunen Pest, die Wien einmal ergreifen sollte. Wien, denn so sollte das Stück ja ursprünglich heißen. Als zart melancholischer Rückblick auf bessere Zeiten schließt die ‘Pavane pour une infante défunte’ das Programm bedeutsam ab, mit einem durchaus persönlichen Touch, so wie alles Larderet auf dieser CD sehr persönlich und sehr expressiv geraten ist.
Bis auf ein irritierendes Geräusch im ‘Gibet’ ist die Tonaufnahme hervorragend, sehr natürlich, ideal räumlich.
In this Ravel program, French pianist Vincent Larderet signs very personal, almost visually shaped performances, deeply expressive and atmospheric as well.
Ein Interview mit dem Pianisten finden Sie hier (in französischer Sprache).