Franz Schubert: Winterreise + (mit Improvisationen, Liedern ohne Worte von Mendelssohn und Sonaten von Domenico Scarlkati); Julian Prégardien, Tenor, Michael Gees, Klavier; 2 CDs P.Rhéi 3; Liveaufnahme 11/2015, Veröffentlichung 01/2017 (91'27) – Rezension von Remy Franck

An dieser ‘Winterreise +’ werden sich die Geister scheiden. Nicht nur, weil Julian Prégardien und Michael Gees den Schubert-Zyklus mit ‘Einschlüssen’ aufführen, mit Klavier-Improvisationen sowie Mendelssohn- und Scarlatti-Klavierwerken, sondern weil ihre Interpretation ungewohnt dramatisch ist, im Vokalen wie auch im Klavierpart.

Die beiden setzen auf äußere Spannung und innere Dramatik, auf Unmittelbarkeit des Ausdrucks und Direktheit der Aussage, mit einer durchgehend prägnanten Artikulierung, auch des Instrumentes, die genau die richtigen Akzente setzt, sowie auf eine Dynamik, die vom fast Geflüsterten zum zurückgehaltenen Schrei reicht. Das ist beim Sänger eine von innen erlebte, sehr persönliche ‘Winterreise’. Es ist die Reise eines Verletzten, der dem Wahnsinn und der Verzweiflung nahe ist.

Ebenso differenziert und gestisch ist das Spiel von Michael Gees, der sein Instrument mit oft scharfen Akzenten und größter emotionaler Kraft zu einem fast revolutionär wirkenden Begleiter des Sängers werden lässt, der seinerseits gewiss nicht vorrangig auf Stimmschönheit achtet, sondern auf Ausdruck.

Jedes Wort, jede Melodie, jede Stimmung scheint den üblichen Interpretationsrahmen zu sprengen, um den Hörer mit auf eine Reise in die Abgründe der Seele zu nehmen, eine Reise eben « ans Ende der Nacht », in « die trost- und hoffnungslose Leere und Einsamkeit des eigenen Ichs », wie Pizzicato-Mitarbeiter Guy Wagner es einmal formulierte, sehr impulsiv, sehr spontan, und damit ein Gegenpol bildend etwa zu einem fein modulierenden Fischer-Dieskau. Doch bei allem, was Prégardien seiner Stimme hier abverlangt, stößt er selbst in den dramatischsten Liedern nicht an seine Grenzen, da seine Stimme dynamisch ungemein flexibel und auch von sicherer Höhe bis zu sonorer Tiefe weit genug gestreckt ist.

Auch die bei diesem Sänger immer hervorragende Diktion leidet unter dieser Dramatik größter Seelenqual nicht.

Somit ist dies ein besonderes Album mit einer ganz aparten Deutung der ‘Winterreise’. Prégardien und Gees schaffen Spannungen, wie man sie nur selten erlebt, denn die ‘Einschlüsse’ des Pianisten, insbesondre seine Improvisationen verlängern Stimmungen, verdichten sie, bereiten andere vor, und der Hörer empfindet das als völlig natürlich, so, als müsse es unbedingt so sein. Wie beim Bernstein bringen die Einschlüsse Mehrwert. Im Übrigen mag diese Programmzusammenstellung heute als neuartig empfunden werden, früher war sie es nicht, wie das im Bocklet abgebildete Programmblatt einer ‘Soirée’ von Clara Schumann und Julius Stockhausen zeigt.

Adding improvisations and short pieces by Scarlatti and Mendelssohn to one extremely passionate and deeply heartfelt performance of Schubert’s Winterreise, Julian Prégardien and Michael Gees present a stunningly attractive and highly recommendable production.

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