Elisabeth Leonskaja hat sich ein Leben lang auf der Schallplatte wie im Konzertsaal mit Schuberts Klaviersonaten auseinandergesetzt. Zehn davon hat sie zusammen mit der Wanderer Fantasie noch einmal auf den Leisten geholt. Es ist die zweite Kollektion, nach den späten Sonaten, die im Jahr 2016 zum 70. Geburtstag der Pianistin erschienen waren.
Die erste der vier CDs beginnt mit der allerersten Sonate D. 157. Leonskaja spielt sie zupackend, jugendlich drängend, mit einem untrüglichen Sinn für Klang und Phrasierung. Nichts Suchendes gibt es hier, sondern die dezidierte Demonstration kompositorischer Meisterschaft.
Sehr dezidiert und kraftvoll erklingt auch die kurze e-Moll-Sonate D. 566 aus dem Jahre 1817. Leonskajas Gestaltung der so subtilen Rhythmen in der Sonate D. 537 ist gekonnt differenziert und lässt die Musik ungemein lebendig werden.
Mit der 2. CD kehren wir zeitlich wieder vor D. 566 und 537 zurück, zur Zweiten Sonate D. 279. Leonskaja lotet die verschiedenen Stimmungen mit ebenso viel Feinsinn wie pianistischem Können aus, und ihr kräftiger, aber warmer Ton verbindet sich mit der überlegenen Kunst, die bei Schubert immer wieder auftauchenden Stimmungsschwankungen eindrucksvoll herauszustellen.
Die halbstündige Sonate E-Dur, auch ‘Fünf Klavierstücke’ genannt, wird manchmal in eine zweisätzige Sonate und drei Klavierstücke aufgeteilt. Elisabeth Leonskaja
schert sich nicht um die komplizierte Quellenlage des Werks und spielt sie zusammenhängend, als fünfsätzige Sonate. Sie tut das mit demselben klaren Anschlag und mit derselben klugen Phrasierung, die ihren Parcours der beiden ersten CDs auszeichnet. Sie macht zwar mit seismographischem Gespür auch die leichtesten Stimmungsschwankungen hörbar, vermeidet jedoch Sentimentalität in einer durchwegs sehr entschlossen wirkenden Interpretation.
Selbst in der kurzen und durchwegs frohgemuten 5. Sonate D. 557 findet die Pianistin noch Differenzierungen, die sonst nicht so hörbar werden.
Die langen Sonaten D. 568 (7) und D. 575 (9) verlangen einen großen Atem, und den hat Elisabeth Leonskaja. Die Sonate f-Moll D. 625 (September 1818), hier mit dem Adagio D. 505 als dritter und langsamer Satz, ist von latenter Nervosität gekennzeichnet, und das etwas ziellose Allegro gelingt Leonskaja besonders gut. Nach dem agilen Scherzo folgt ein schlichtes Adagio, was das zum Teil ungestüme finale Allegro umso kontrastvoll drängender werden lässt.
Tief dringt Leonskaja in die Klaviersonate in A-Dur D. 664, ohne Verzärtelung, mit größter Klarheit, aber ebenfalls einer immensen Sensibilität, welche die ganze Bandbreite dieser Musik in ihrem ständigen Wechsel zwischen Hoffnung und Angst deutlich macht.
Die Fantasie C-Dur D. 760, die so genannte ‘Wandererfantasie’, beschließt diese Kollektion, tief ausgelotet von der Pianistin, sehr differenziert und intensiv.Hier wie in den übrigen Werken ist Leonskajas Spiel von bestechender Schlüssigkeit und entschlossener Aufrichtigkeit gegenüber Schubert und gegenüber sich selbst: Mögliche Fragen haben einer selbstverständlichen Evidenz Platz gemacht.