In die frühe Zeit seines kompositorischen Schaffens vor der Emigration ist seine Komposition auf den Gedichtzyklus ‘Das Marienleben’ von Rainer Maria Rilke zu rechnen. Rilke stellt das große, mystische Geschehen der Jungfrau Maria mit einer besonders menschlichen, fast persönlichen Betroffenheit dar und eröffnet überraschende Sichtweisen. Ein Zugang zu diesen Gedichten erfolgt möglicherweise am besten, indem die Texte, die trotz ihres starken Zusammenhalts sprachlich unterschiedlich dicht und von unterschiedlicher narrativer Struktur sind, indem man sich intensiv und frei von vorgeprägten Urteilen einlässt.
Auch die Musik zeigt einerseits diese Einfachheit, ohne rhythmische und dissonante Auswüchse. Sie macht einen frischen und impulsiven Eindruck mit expressionistischen Einschlüssen. Dieser Eindruck wird vertieft durch die Wahl der Ursprungsfassung von 1922/23 für diese Einspielung und nicht die der überarbeiteten von 1948. Mit diesem Werk, dass nichts Grelles, Rüdes oder Provozierendes bietet, eröffnete Hindemith eine neue Kompositionsrichtung für sich und sah dieses Werk als einen ersten Höhepunkt seines Schaffens. Die Singstimme ist anspruchsvoll und stellenweise geradezu undankbar, aber auch melodisch innovativ. Der Pianopart ist feinfühlig und dem Pianisten in die Hand geschrieben, jedoch trotzdem auch technisch anspruchsvoll.
Juliane Banse nutzt ihre mit angenehmer Farbe ausgestattete Stimme gestalterisch intelligent ein und bleibt in einem intimen Rahmen, um die persönliche Gestalt der Dichtung zu zeigen. Die Herausforderungen der ersten Version sind nicht heraushörbar, da Banse ihren Gesang unangestrengt und selbstverständlich einzusetzen weiß.
Die Begleitung durch den Pianisten Martin Helmchen ist pianistisch ebenfalls makellos und zeigt keine Schwächen. Auch wenn die Partner aufnahmetechnisch gleichberechtigt dargeboten werden, scheint sein Anteil etwas im Hintergrund zu stehen. Die Singstimme bleibt stärker im Ohr haften. Entstanden ist eine hervorragende, aber sich nicht einschmeichelnde Darstellung.