"Nehmt Euch Zeit, die Schönheit und Zerbrechlichkeit der Welt um Euch herum wahrzunehmen und wertzuschätzen" – das wünscht sich die Pianistin Lisa Maria Schachtschneider und verwandelte ihr Anliegen in eine bemerkenswerte CD. Beatrice Ballin befragte sie zu ihrer Neueinspielung, mit der sie die Zuhörer inspirieren und berühren will.

Lisa Maria Schachtschneider
(c) Kaupo Kikkas

Planet Earth – as within so without – ein ungewöhnlicher Titel für eine CD mit klassischen Klavierwerken. Sie wollen mit dem Titel und der Stückauswahl einen künstlerischen Anstoß geben und einen Herzenswunsch zum Ausdruck bringen. Worum geht es Ihnen?
Ich mag ausdrucksstarke und ungewöhnliche Titel, die Neugier wecken und das Potenzial haben, Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund anzusprechen. Für mich bleibt klassische Musik zeitlos und damit immer modern und relevant – auch das schwingt im Titel Planet Earth – As Within, So Without mit.
Das Herzstück meines Albums ist die tiefe Verbundenheit allen Seins. Ich bin überzeugt, dass der Mensch niemals isoliert betrachtet werden kann – weder von seiner Umwelt, den Pflanzen und Tieren, noch von den vier Elementen. Alles steht in einer ständigen Wechselwirkung und Schwingung. Wenn wir unsere Umwelt nicht achten, sie zerstören oder vergiften, schaden wir damit letztlich uns selbst.
Ich glaube fest daran, dass aktive und regelmäßige Achtsamkeit die Welt ein Stück besser machen kann. Der Titel As Within, So Without verkörpert diesen spirituell-philosophischen Ansatz: Unsere äußere Welt spiegelt unseren inneren Zustand wider – und umgekehrt. Dieses Album ist meine Einladung, innezuhalten, bewusst hinzuhören und die Verbindung zwischen uns und der Welt um uns herum neu zu entdecken.

Bei der Auswahl Ihrer Klavierwerke orientieren Sie sich an der Vier-Elementen-Lehre der griechischen Philosophen: Sie sollen den Hörer in die Welten von Wasser, Erde, Luft und Feuer entführen. Welche Überzeugung liegt dem zugrunde?
Griechische Philosophen wie Platon und Aristoteles schrieben den vier Elementen die Eigenart ewig existierender und in sich unveränderlicher Grundsubstanzen zu, welche in ihren jeweils verschiedenen Mischungen die ganze Vielfalt unseres Seins ergeben. Modernes wissenschaftliches Denken von Elementarteilchen und wechselnden Aggregatzuständen bestätigt diese Theorie: Wir Menschen tragen die vier, äusserlich als Wasser, Feuer, Luft und Erde mit allen Sinnen wahrnehmbaren Elemente in verschiedenen Mischungen und Anteilen als kleinste unveränderliche Elementarteilchen in uns. Selbst-Bewusstsein und innere Achtsamkeit sind daher untrennbar mit einem Bewusstsein für unsere Umwelt verknüpft – alles ist eins. Stirbt unsere Umwelt, so sterben auch wir.
Diese Überzeugung bildet die Grundlage für meine Stückauswahl: Die Musik soll die Hörer nicht nur in die symbolischen Welten der Elemente entführen, sondern auch zur Reflexion über diese tiefe Verbundenheit anregen.

Sie haben für Ihre CD nicht nur Stücke von etablierten Komponisten, sondern auch von kaum bekannten Komponistinnen ausgewählt. Wie sind Sie auf diese Frauen aufmerksam geworden?
Das Frankfurter Archiv Frau und Musik kenne ich bereits seit meiner Arbeit an meiner Debüt-CD FEMINAE – The Female in Music. Es ist eine unschätzbare Ressource, die die weltweit größte Sammlung an Manuskripten und Medien von und über Komponistinnen beherbergt. Schon damals war es mir eine große Hilfe, auf vergessene oder weniger bekannte Komponistinnen aufmerksam zu werden.
Für mein aktuelles Album Planet Earth – As Within, So Without war es mir ein wichtiges Anliegen, sowohl etablierte als auch kaum bekannte Komponistinnen einzubeziehen, um ihre Musik einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und ihre Bedeutung für die Musikgeschichte zu unterstreichen.

Es fällt auf, dass Sie dem Element Erde nur weiblichen Komponisten gewidmet haben. Absicht oder Zufall?
Ich habe das Element Erde ganz bewusst ausschließlich Werken von Komponistinnen gewidmet, da dieses Element für mich etwas tief Urweibliches verkörpert. Es trägt nicht umsonst den Namen ‘Mutter Erde’ – in der Erde gedeiht ein Großteil allen Lebens, so wie auch in Frauen Leben heranwächst.

Besonders erwähnenswert ist die Vita der US-Amerikanerin Amy Beach (1867 – 1944), die als Komponistin einen ungewöhnlichen, im zeitlichen Kontext betrachtet zunächst jedoch eher üblichen Werdegang hatte. Können Sie dazu ein wenig erzählen?
Amy Beach war ein Wunderkind mit absolutem Gehör und wurde die erste amerikanische Frau, die eine Symphonie  komponierte. Sie erhielt eine professionelle Ausbildung als Pianistin und gab bereits im Alter von 16 Jahren ihr Debüt als Solistin mit Orchester. Das Komponieren erlernte sie jedoch weitgehend autodidaktisch, wie es für viele Komponistinnen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein typisch war.
Während ihrer 25-jährigen Ehe war sie stark in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt: Sie durfte ihre Werke nur unter dem Pseudonym Mrs. H.H.A. Beach, den Initialen ihres Mannes, veröffentlichen und war auf lediglich ein Benefizkonzert pro Jahr begrenzt, dessen Einnahmen sie spendete. Nach dem Tod ihres Mannes änderte sich ihr Leben radikal. Sie unternahm ausgedehnte Konzertreisen und etablierte sich als gefeierte Pianistin auch in Europa.
Besonders inspirierend ist für mich, dass Amy Beach nach ihrer langen Ehe, in der sie kaum Auftrittspraxis hatte, den Mut aufbrachte, im fortgeschrittenen Alter einen Neustart als Pianistin zu wagen. Sie ist damit ein außergewöhnliches Vorbild – gerade für Frauen von heute. In einer Zeit, in der typische Altersgrenzen für berufliche oder persönliche Ambitionen zunehmend hinterfragt werden, zeigt Amy Beach, dass es nie zu spät ist, Träume zu verwirklichen.

Lisa Maria Schachtschneider
(c) Kaupo Kikkas

Für das Element Feuer wiederum haben Sie ausschließlich Werke männlicher Komponisten gewählt. Liegt das daran, dass es von Frauen keine Kompositionen zum Thema Feuer gibt, oder sehen Sie Feuer als ein rein männliches Element?
Ich habe zwar nicht gezielt danach gesucht, bin aber überzeugt, dass es auch von Frauen Kompositionen gibt, die das Thema Feuer aufgreifen. Schon bei den ersten Überlegungen zum Programm war mir bewusst, dass es provokant wirken könnte, Elemente ausschließlich weiblichen oder männlichen Komponisten zuzuordnen. Dies ist jedoch eine bewusste Entscheidung, die auf der spannenden Auseinandersetzung mit der Polarität von Weiblichem und Männlichem beruht – gerade in einer Zeit, in der traditionelle Geschlechtergrenzen zunehmend verschwimmen und hinterfragt werden.
Ich finde es faszinierend, typisch weibliche Eigenschaften wie Besonnenheit, Mitgefühl und Wärme sowie typisch männliche Attribute wie ungebändigte Energie, Leidenschaft und Impulsivität auszuloten und zu hinterfragen. Dabei geht es mir nicht darum, diese Eigenschaften festzuschreiben oder exklusiv einem Geschlecht zuzuschreiben. Vielmehr spiegelt meine Herangehensweise die uralte Yin-Yang-Philosophie wider, die auf einer energetischen Einheit entgegengesetzter, aber untrennbar miteinander verbundener Kräfte basiert.
Die Balance zwischen diesen Polen ist für mich essenziell, um ein abgerundetes Gesamtergebnis zu erzielen. So wie ich ein ganzes Element den Frauen gewidmet habe, war es mir ebenso ein Anliegen, den Männern eines zu widmen. Indem ich das leidenschaftlich lodernde Element Feuer den männlichen Komponisten zugeschrieben habe, möchte ich das männliche Prinzip würdigen und anerkennen. Natürlich tragen alle Geschlechter sogenannte weibliche und männliche Eigenschaften in unterschiedlichen Ausprägungen in sich, und auch Frauen besitzen zweifellos lodernde, feurige Energien. Diese Zuweisung ist daher keine strikte Trennung, sondern eine symbolische Hommage an die Vielfalt und Ergänzung der Geschlechter.

Den furiosen, mitreißenden Schluss Ihres Albums bildet Danse infernale aus Stravinskys Ballett L’Oiseau de Feu. Es ist das einzige Werk auf Ihrer CD, das für Orchester geschrieben und dann für Klavier transkribiert wurde. Was hat Sie daran gereizt?
Besonders gereizt hat mich der extrem hohe Schwierigkeitsgrad der Klaviertranskription des Feuervogel von Guido Agosti. Das Stück ist technisch noch anspruchsvoller, als es klingt – eine wahrhaft höllische Herausforderung für jede Pianistin und jeden Pianisten. Obwohl es ganz fantastische Musik ist, gibt es nur wenige Einspielungen dieses Werks und ich denke, dass der extrem hohe technische Schwierigkeitsgrad der Grund dafür ist. Gerade solche Herausforderungen reizen mich, und ich bin stolz darauf, mich dieser gestellt zu haben.

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