Unter seinem Chefdirigenten Kirill Karabits hat die Staatskapelle Weimar im Sommer 2018 die unvollständige Oper ‘Sardanapalo’ von Franz Liszt uraufgeführt. Das Manuskript lag seit 100 Jahren völlig vergessen im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar. Die Musik wurde von David Trippett, Dozent an der Fakultät für Musik der Universität Cambridge, überarbeitet und orchestriert.
(Remy Franck): Das Libretto basiert auf Lord Byrons Tragödie ‘Sardanapalus’ und erzählt die Geschichte von Sardanapalo, dem König des alten Assyrien, einem friedliebenden Monarchen, der von Rebellen besiegt und ermordet wird. Liszts Oper konzentriert sich auf die Liebe zwischen König Sardanapalo und seiner Lieblingskonkubine Mirra, die den König liebt, obschon sie sich als eine vom Schicksal verhöhnte Sklavin ansieht. Im letzten Teil des ersten Aufzugs versuchen ein Wahrsager und Mirra, den König zu überzeugen, einen neuen Krieg zu beginnen, was er denn auch tut.
Liszt komponierte nur einen Akt. Musikwissenschaftler gehen davon aus, dass er mit dem Libretto für die Akte II und III nicht zufrieden war.
Trippett arbeitete an dem Manuskript mit Liszts eigenen Anweisungen zur Orchestrierung der Partitur und erhielt eine Performance-Version, die für die Weimarer Premiere verwendet wurde, die dieser Aufnahme zugrunde liegt. Laut Trippett ist die Musik eine « einzigartige Mischung aus italienischer Lyrik und harmonischer Innovation. » Die starken melodischen Linien können an Bellini oder Donizetti, mitunter auch Verdi erinnern, ein bisschen sogar an Wagner. Von Liszt hat die Musik die auf der Dramatik fußende Melodik, nach seinen eigenen Worten die ‘deklamatorische Melodie’. Jedenfalls gilt es festzustellen, dass an ihm ein guter und einfallsreicher Opernkomponist verlorengegangen ist.
Weimar hatte für die Besetzung eine sehr gute Wahl getroffen. Joyce El-Khoury singt mit leuchtendem Sopran, schönen Nuancen und Farben die Rolle von Mirra.
Der Tenor Airam Hernandes imponiert als Sardanapalo, und Oleksandr Pushniak ist großartig in der Rolle des Beleso.
Kirill Karabits dirigiert leidenschaftlich, und die Staatskapelle Weimar setzt sein Dirigat farbenreich und dramatisch um. Eine insgesamt großartige Aufnahme eines hörenswerten Werks!
Die CD beginnt mit einer spannenden und sehr differenziert und flexibel gestalteten Darbietung von ‘Mazeppa’.
(Guy Engels): In Liszts Musik begegnen wir immer wieder Heldenfiguren, die nur zu oft von Interpreten überhöht werden. Die mächtigen Klänge werden romantisch aufgemotzt und übertünchen den differenzierten Blick, den Liszt auf seine Protagonisten wirft.
Kirill Karabits lässt eine solche Lektüre nicht zu. Er stutzt ‘Sardanapalo’, den König wider Willen, auf sein menschliches Maß zurück. Sardanapalo frönt lieber den Freuden des Lebens als der Diplomatie und dem Krieg. Durch die Mahnungen seines Beraters Beleso gerät er jedoch in eine persönlichen Konflikt wegen der Vernachlässigung seiner Königspflichten.
Karabits zeichnet die unterschiedlichen Facetten und Seelenzustände des Sardanapalo durch einen sehr differenzierten Klang. Er sucht die Schattierungen in Liszts Musik, nicht deren inhärente Opulenz. Die Staatskapelle Weimar spielt mit warmem, homogenem und durchaus auch kräftigem Klang, enthält sich aber jedweder Heroisierung. Das Sängertrio fügt sich wunderbar in die Inszenierung dieser Politromanze ein: Airam Hernandez als zweifelnder und verzweifelter Sardanapalo, Joyce El-Khoury als verliebte Sklavin, die mit ihrem reinen und schillernden Sopran nach der Heimat verlangt sowie Aleksandr Pushniak, als mit klarem, dunklen Bass mahnender Berater und Priester.
Ergänzend zum Opernfragment ‘Sardanapalo’ hören wir die Tondichtung « Mazeppa », die zur gleichen Zeit entstand. Auch Mazeppa ist in dieser treffenden Lektüre ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein Mächtiger, der am Ende ohne Macht und ohne Freunde ist.