Frau Migdal, Ihr neues Album beinhaltet eine ungewöhnliche Kombination von Musik des Komponisten Paul Ben-Haim. Da trifft das Stück Yizkor, das man schon fast als Violinkonzert bezeichnen könnte, auf Kammermusik und diese trifft auf Lieder für Mezzosopran und Klavier und dann wird das alles noch verbunden durch Lieder ohne Worte in verschiedenen Besetzungen. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Gemenge-Lage?
Yizkor, was mit ‘in Gedenken’ übersetzt werden kann, aus dem Jahr 1942, ist sicherlich neben den Three Songs Without Words Ausgangspunkt dieses großen Projektes gewesen. Die Musik von Paul Ben-Haim hat mich beim ersten Hören bis ins Mark getroffen – das war 2008. Seitdem spiele ich seine Werke, wann immer es möglich ist.
Bei der Zusammenstellung der Kompositionen für die CD stand für mich im Vordergrund, einen Weg zu finden, Ben-Haim als universalen Komponisten näherzubringen, eben nicht nur durch das reine Violinrepertoire, sondern mit seinem gesamten musikalischen Horizont. Seine Klangsprache, die er im Britischen Mandatsgebiet Palästina und später dann Israel entwickelte, ist so vielfältig wie einzigartig. Die einzelnen Werke, also z.B. die Three Songs Without Words, sein Arabic Song, Bat Yonim und die Melodies from the East haben einen inhaltlichen Bezug zueinander. So wurde aus einer Idee mit Unterstützung des Deutschlandfunk und des SWR die CD ‘The Cosmos of Paul Ben-Haim’.
Da vielleicht nicht alle Leser mit dem Komponisten Ben-Haim vertraut sind, könnten Sie uns hier einige Informationen mitteilen?
Paul Ben-Haim wurde 1897 in München als Paul Frankenburger geboren. Er studierte in München Komposition, Dirigieren und Klavier, war Assistent von Bruno Walter und ab 1924 Kapellmeister in Augsburg. 1931 wurde er aufgrund des aufkeimenden Antisemitismus fristlos entlassen, und so bereitete er in weiser Voraussicht seine Flucht vor. In Deutschland widmete er sich vor allem dem Kunstlied und vertonte Gedichte von Goethe, Heine, Eichendorff u.a., schrieb aber auch Kammermusik und erste Orchesterwerke. 1933 floh er dann ins damalige Britische Mandatsgebiet Palästina und nannte sich von da an Paul Ben-Haim, übersetzt: ‘Sohn von Heinrich’, und fiel – angekommen in der Fremde – zunächst in eine Art musikalische Sprachlosigkeit. Etwa zwei Jahre dauerte es, bis er wieder zu komponieren begann. Durch Begegnungen mit anderen Musikern, vor allem aber mit der jemenitisch-jüdischen Sängerin Bracha Zephira entwickelte Ben-Haim eine eigene neue Klangsprache, die europäische Strukturen und orientalische Rhythmen und Klänge miteinander verband, quasi fusioniert.
Im Jahr 1984 starb Ben-Haim in Tel Aviv.
Was fasziniert Sie an dem Werk des Komponisten so, dass Sie sich für dieses Album so engagiert haben?
2008 kam ich zum ersten Mal – im Rahmen eines musikalischen Projektes zwischen meiner damaligen Hochschule in Rostock und Tel Aviv – mit dem Komponisten Paul Ben-Haim in Kontakt. Es war ein Urerlebnis. Eine Klangwelt, die mir bis zu diesem Moment verschlossen war und sich doch sofort wie zu Hause anfühlte. Ein überwältigendes Gefühl – da waren diese Melodien, diese Rhythmen, die ich zunächst einmal nicht zuordnen konnte und die mir doch so vertraut waren. Ich meinte, seine Musiksprache zu verstehen. Und diese Musiksprache hat mich nicht mehr losgelassen. Ben-Haims Musik muss hör- und erlebbar gemacht werden und ich hoffe, dass diese von mir initiierte und kuratierte CD einen kleinen Beitrag dazu leistet, ihn und seine Werke ins Repertoire aufzunehmen.
Wenn man nach Ben-Haim recherchiert, stößt man schnell auf die Namen berühmter Geiger, wie etwa Menuhin oder Heifetz. Hat Ben-Haim ein besonderes Gespür für die Violine gehabt? War er selbst auch Violinist?
Als Kind hatte er gelernt, Geige zu spielen, allerdings war sein Hauptinstrument das Klavier. Yehudi Menuhin hat Ben-Haim bei seinem Rezital in Tel Aviv 1951 kennengelernt. Damals spielte Menuhin in einem Konzert Bartóks Solosonate aus dem Jahr 1944, die Bartók Menuhin gewidmet hatte. Inspiriert von diesem Abend und nach der persönlichen Begegnung komponierte Ben-Haim in nur drei Tagen seine große Solosonate in G. Die Uraufführung spielte Menuhin, und so blieben die beiden eng miteinander verbunden. Sein letztes Instrumentalwerk, die Three Studies aus dem Jahr 1981, die den Schluss dieses Doppelalbums bilden, hat Ben-Haim erneut Menuhin gewidmet. Jascha Heifetz hingegen hat sein Yizkor in den USA aufgeführt und dazu sogar eine eigene Kadenz komponiert. Für Ben-Haim war das ein riesiges „Kompliment“. Ich habe mich bei der Aufnahme dennoch dafür entschieden, die Original-Kadenz von Ben-Haim zu spielen – meiner Meinung nach fügt sie sich perfekt in das Gesamtwerk ein.
Sie haben sich über die letzten Jahre also zunehmend mit dem Werk von Paul Ben-Haim beschäftigt. Gibt es aus ihrer Sicht weitere Werke von ihm, die eigentlich unbedingt wiederentdeckt werden müssten? Oder werden Sie sich nun erst einmal wieder anderer Musik zuwenden?
Paul Ben-Haim wird mich mein Leben lang, also zumindest seit 2008, musikalisch begleiten. Ich bin der aufrichtigen Überzeugung, dass sein Werk so viele kompositorische Schätze für uns bereithält, die nur darauf warten, entdeckt und gespielt zu werden. Seine Kammermusik ist überaus fantasievoll – Trios, Quartette, Quintette, ein weiteres Violinkonzert aus dem Jahr 1960. Ich freue mich schon jetzt darauf, all seine Werke hoffentlich bald öffentlich spielen zu können. Und natürlich ist mein Herz bei vielen anderen Komponistinnen und Komponisten, die ich natürlich auch in den letzten Jahren gespielt habe und in den kommenden Jahren noch spielen werde.
Musik ist ja nun DAS wunderbarste und einzigartige Medium um Menschen aus allen Himmelsrichtungen zu verbinden. Und: für mich ist sie Lebenselixier, Atmen, aus dem auch immer wieder neue Impulse entspringen: nicht nur beim Spiel der großartigen Werke von Bach, Mozart, Beethoven, Brahms, Shostakovich, Schumann, Mendelssohn usw.: Da ist irgendwo in mir immer auch diese große Neugier auf noch Unbekanntes.
Israel und sein Umland waren in den vergangenen Monaten leider Schauplatz schrecklicher Ereignisse. Sind diese zusammengefallen mit den Aufnahmen zum Album?
Die Orchesteraufnahme fand im Januar 2023 statt, die Kammermusikaufnahme allerdings Ende Oktober 2023, also ein paar Wochen nach dem beispiellosen Angriff der Hamas am 7. Oktober. Ich erinnere mich, wie ich, die z.T. selbst von der Hamas ins Netz gestellten Streams und Videos von Hinrichtungen, Folter, Erniedrigungen, Verstümmelungen, und Ermordung von Kindern, ihren Eltern, Großeltern, Brüdern und Schwestern; und Menschen, die auf dem Nova-Fest das Leben feiern wollten, eigentlich nicht erfassen konnte. Mein Menschsein konnte diese Barbarei nicht begreifen.
Paul Ben-Haim ist für mich ein universaler Komponist, jemand, der mit seiner Musik Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen miteinander verbunden hat. Seine Urenkelin, Millet Ben-Haim, die auf dem Nova-Fest war, hat mit sehr viel Glück den grauenhaften Angriff überlebt. All das war bei der Aufnahme omnipräsent, und doch gab es auch eine wunderbare Freude und Stimmung gepaart mit einer unglaublichen Konzentration, diese Musik nun endlich aufzunehmen und hörbar zu machen.
Wenn ich mir erlauben darf noch kurz auf das Cover einzugehen: erst einige Monate später, also im Jahr 2024 kam die Überlegung, wie das Cover aussehen sollte. In meiner Fantasie war es ein Bild, auf dem Wege sind und Weite. Als ich auf die Seite der Künstlerin Talia Israeli kam, war da dieses Bild. Es hat mich unmittelbar tief bewegt, und im Gespräch mit Talia erfuhr ich, dass genau diese Malerei für eine Ausstellung im Kibbuz Be’eri gefertigt wurde, einem jener Kibbuzim, die fürchterlich zerstört und wo Menschen ermordet und Häuser verbrannt wurden. Vollständig zerstört wurde am 7. Oktober auch jenes Bild von Talia Israeli, samt der Galerie und anderen Malereien. So hat für mich dieses Cover einen extrem emotionalen und persönlichen Wert.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Staatskapelle Weimar und den anderen beteiligten Musikerinnen und Musikern? Mussten Sie denen erst einmal erklären, um was es geht? Oder waren die direkt dabei, als es hieß: « Es wird ein Paul Ben-Haim-Album! »?
Letzteres trifft es! Und das hat mir eine unglaubliche Energie und Kraft gegeben. Sowohl die Staatskapelle Weimar, als auch der Dirigent Jesko Sirvend, die wunderbaren Musiker Ofer Canetti am Cello, der Pianist Daniel Gerzenberg, Sebastian Manz an der Klarinette, Theo Plath am Fagott und die Mezzosopranistin Hagar Sharvit waren sofort dabei! Ein großes Geschenk!
Was sind ihre Projekte für die nächste Zeit? Wird man die Musik vom Album zum Beispiel auch live erleben dürfen?
Absolut! Gerade komme ich aus Litauen, wo ich neben J. S. Bachs Violinkonzerten auch die Three Songs Without Words gespielt habe, übrigens die litauische Erstaufführung.
Beim diesjährigen Kurt-Weill Fest in Dessau spiele ich dann noch in diesem Monat Ben-Haims Yehudi Menuhin gewidmete Solosonate für Violine aus dem Jahre 1951 und kurz danach am 19. März im Wiener Konzerthaus mit dem Kammerorchester des Nationaltheaters Prag erneut die Three Songs, die dann jedoch gepaart sind mit einem Mozartkonzert.
In der Hamburger Elbphilharmonie und kurz darauf in der Schweiz mit der Zuger Sinfonietta unter ihrem Chef Daniel Huppert steht dann das Violinkonzert von Jean Sibelius in meinem Konzertkalender, und danach werde ich zu einer mehrwöchigen Australientournee aufbrechen mit kammermusikalischen Abenden und als Solistin mit Orchester.
Und noch ein kleiner Zusatz zu meiner Neugier auf noch „Unbekanntes“, die dann auch, mit einigem Entdeckerglück hin und wieder gestillt werden kann: Wie auf meiner noch auf ihr baldiges Erscheinen wartenden nächsten CD, die mit hinreißenden Werken der schwedischen Violinvirtuosin Amanda Maier im musikalischen Dialog mit Edvard Grieg und der vielfältig kreativen Britin Ethel Smyth überraschen wird.