Luc Grethen, Ihr Kompositionsverzeichnis reicht mehr als dreißig Jahre zurück. Zumindest von der Anzahl der Kompositionen her betrachtet waren die letzten 15 Jahre deutlich produktiver als die frühen Jahre. Wie ist das zu erklären, mussten Sie erst Ihren Stil erarbeiten?
Meinen persönlichen Stil habe ich Anfang 2000 entwickelt und von dem Moment an ging das Komponieren viel einfacher und schneller von Hand. Dazu kommt, dass vor dieser Zeit Familie und Arbeit absolute Priorität hatten, so dass wenig Zeit zum Komponieren blieb.
Sie haben auch eine Professur am Musikkonservatorium der Stadt Luxemburg. Wie stehen die Aufgaben zueinander, befruchtend oder störend?
Störend auf gar keinen Fall. Ich bin froh, mit Musikerkollegen zusammenarbeiten zu können, das bringt menschlich und künstlerisch sehr viel.
Außerdem spielen Sie Oboe und Klavier. Ihre Werke sind ausschließlich Bläserstücke mit Klavier, wenn man mal von den Orchesterwerken absieht. Fällt es Ihnen schwer, für Streicher zu schreiben, ist das nicht Ihre Welt?
Ich habe mich hauptsächlich auf die Musik für Bläser und Orchester fokussiert. Das kommt auch daher, dass es in meinem Umfeld viele Musiker gibt, die ein Blasinstrument spielen. Außerdem ist mein Verlag in Deutschland auf Musik für Blasinstrumente, speziell Holzblasinstrumente, spezialisiert. Ich habe aber kein Problem für Streicher zu schreiben. So werde ich z. B. ein Werk für vier Violoncelli schreiben, das im Herbst 2018 in der Philharmonie in Luxemburg uraufgeführt werden soll. Dieser Auftrag ist eine neue Herausforderung.
Wie sieht der Prozess beim Komponieren aus? Gibt es feste Zeiten am Schreibtisch? Ist ein neues Werk im Kopf fertig und muss bloss noch niederschreiben werden?
Ich komponiere am Schreibtisch und am Klavier. Feste Zeiten? Ja, immer wenn ich „frei“ habe; jede freie Minute nütze ich zum Komponieren. Die Ideen entstehen hauptsächlich während dem Komponieren; dann fließt die Musik so durch mich hindurch und brauche sie nur aufzuschreiben. Ideen kommen mir aber auch beim Autofahren, beim Wandern, im Whirlpool…Ich habe immer Musik im Kopf, ich kann das nicht abschalten, damit habe ich zu leben gelernt.
Heute benutzen Sie ein Computerprogramm bei der Komposition. Hat sich beim Umschalten von Papier zum Computer die Arbeitsweise geändert?
Bis Ende der 1990 Jahre habe ich traditionell auf Papier gearbeitet und habe mich dann nach und nach in ein Notensatzprogramm eingearbeitet. Heute arbeite ich, wie schon gesagt, am Klavier und am Schreibtisch und benutze ein professionelles Notensatzprogramm. Dieses ermöglicht es mir, ein professionelles Layout zu erarbeiten, die Musik natürlich zu hören (auch wenn ich das eigentlich nicht brauche, denn die Musik läuft im Kopf) und auch, den Verlegern fertige Dokumente zu schicken.
Wenn ich mir etliche Titel Ihrer Werke ansehe, wie ‘Die 7 Zwerge auf Wanderschaft’, ‘Der Bienenstock’ oder ‘Little Dino’s Dreamworld’, scheinen Sie Humor und Spaß beim Komponieren zu haben. Stimmt’s?
Humor ist ein fester Bestandteil von vielen meiner Werke. Ich amüsiere mich öfter köstlich!
Fast alle Werke haben deskriptive Titel. Ein klassisch betiteltes Werk, etwa Duo (außer dem ‘Duo sine nomine’) oder Quintett gibt es nicht. Warum keine Klassiker bzw. woher kommen die Titelassoziationen?
Ich schreibe keine ‘klassische’ Musik. Absolut zeitgenössisch ist sie auch nicht. Ich habe meinen eigenen, ganz persönlichen Stil entwickelt, der zwischen Modalität und erweiterter Tonalität anzusiedeln ist. Für mich passen die früheren Titel nicht mehr, deshalb haben die Werke immer eigene Bezeichnungen. Diese kommen vor-, während- oder nach dem Komponieren, das hängt ganz vom Stück ab.
Sie halten, nach den Titeln zu urteilen, viel von Assoziationen. Verwirren die nicht mehr als das sie die Musik erklären, da jeder eine andere Assoziation hat? Beispielsweise kann ich eine Winterassoziation auf Grönland, Finnland, die luxemburgische Schweiz oder die Alpen beziehen. Dann verbinde ich damit vielleicht Inuit, Wälder, Heimat oder Skifahren. Also doch recht unterschiedliche Bilder.
Das sind die Bilder, die ich während dem Komponieren hatte; das sind meine ganz persönlichen und eigenen Bilder. Jeder Zuhörer macht andere Assoziationen bei meiner Musik; das ist normal und von mir ausdrücklich erwünscht. Jeder kann sich darunter vorstellen was er möchte. Es gibt nicht nur meine eigenen Bilder oder Versionen.
Zu Ihren Stücken geben Sie kurze Erläuterungen oder Einstimmungen. Einige sind von Farben und Licht in Südfrankreich inspiriert. Überhaupt scheinen Sie positive Stimmungen zu bevorzugen?
Ich bin ein lebensfroher Mensch, der hier ist, um zu genießen. Südfrankreich ist demnach kein so schlechter Ort…
Letztes Jahr gab es den Kompositionsauftrag des Kulturministeriums für das Stück ‘Upswing’, dass von den ‘Solistes Européens Luxembourg’ uraufgeführt wurde. Dieses Jahr kam wieder ein Auftrag, der zu ‘Endless Moving’ geführt hat’. Ist so ein Auftrag eher Zwang oder Ansporn?
Ganz klar ist das ist ein Ansporn, über sich selbst hinauszuwachsen und mein Innerstes nach außen zu stülpen und in eine musikalische Form zu bringen. Dieser Prozess ist natürlich sehr zeit- und energieintensiv, bringt aber auch viel Freude und Genugtuung.
Für wen schreiben Sie eigentlich, für Sie selbst, Ihre Frau oder das Publikum?
Komponieren ist eine Art innerer Zwang, ich muss das tun. Was ich mache, tue ich ohne Erwartung; wenn meine Musik die Zuhörer anspricht, dann freut das mich natürlich sehr. Ich schreibe aber keine Musik, um zu gefallen; ich schreibe die Musik, die in meinem Kopf entsteht.
Ist Ihr Œuvre hauptsächlich in Luxemburg bekannt oder hat es seinen Weg auch schon über die Landesgrenzen gemacht?
In Deutschland und in anderen deutschsprachigen Ländern ist mein Name eigentlich weit bekannter als in Luxemburg. Mein Verleger hat mir berichtet, dass es eine regelrechte ‘Fangemeinschaft’ für Grethen gibt.
Blicken Sie nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre positiv gestimmt in die Zukunft? Gibt es schon neue Pläne und Termine?
Ich komme kaum nach mit den Aufträgen und arbeite intensiv weiter. Termine gibt es schon einige für 2018, z. B. werden zwei meiner neuen Werke in der Philharmonie gespielt. Ich engagiere mich weiter total für meine Musik; mehr kann ich nicht tun.
Das Werk ‘Endless Moving’ von Luc Grethen ist am 26. November 2017 um 17 Uhr im Auditorium des Konservatoriums in Luxemburg zu hören. Es erklingt im Rahmen des Jubiläumskonzerts des Ensembles ‘Estro armonico’ zu dessen 25-jährigem Bestehen. Auf dem Programm stehen außerdem das Doppelkonzert von Johannes Brahms mit Jehanne Strepenne, Violine, und Nicolas Deletaille, Violoncello, sowie das Saxophonkonzert von Alexander Glazunov mit Guy Goethals als Solist. Dirigent des Konzertes ist Carlo Jans.