Lucas Debargue: kaum ein anderer Name hat in der Klavierwelt für so viel Aufregung gesorgt wie der des 25-jährigen Franzosen, der die Jury beim Tchaikovsky-Wettbewerb spaltete und wegen seiner unkonventionellen Spielart und seinen sehr individuellen Interpretationen ‘nur’ den vierten Preis erhielt, dafür aber von den russischen Musikkritikern ausgezeichnet wurde. Der Fall erinnert an Ivo Pogorelichs Teilnahme am Chopin-Wettbewerb, als Martha Argerich, im Dissens mit ihren Kollegen, wutschnaubend die Jury verließ.
Lucas Debargue, der spät zum Klavier kam, das Klavierstudium mehrmals unterbrach und eigentlich keinen konsequenten Unterricht erhalten hat, ist demnach etwas wie ein Naturtalent, einer jener Musiker, die eine ganz spezielle Beziehung zu ihrem Instrument aufbauen und im Spiel letztlich mit ihm zu verschmelzen scheinen.
Nun hat Debargue seine erste CD veröffentlicht. Das Repertoire ist etwas kunterbunt geraten. Es beginnt mit vier Scarlatti-Sonaten (und über eine davon präsentiert Debargue am Schluss noch eine eigene Variation). Schon in diesem Scarlatti zeigt er seine Individualität und fasziniert mit einem sehr spontanen Spiel. Dass sein Scarlatti es dennoch mit dem von Evgeny Sudbin nicht aufnehmen kann, war zu erwarten.
Aber spätestens die Vierte Ballade von Chopin zeigt, was Debargue ist: ein Pianist, der sich frei im Stück bewegt, die Musik aus eigenem tiefen Empfinden heraus gestaltet und dabei eine Erzählkraft erreicht, die wirklich ganz außergewöhnlich ist. Die hoch romantische Ballade braucht einen Pianisten wie Debargue, der die Gefühlswallungen der Musik so differenzierend und doch so zwingend in einen natürlichen Fluss bringen kann, ohne die turbulent Coda zu einem Showmusizieren zu benutzen.
Dass Liszts Mephisto-Walzer den großen Händen des Pianisten keine Schwierigkeiten bereiten würde, war vorauszusehen. Debargue spielt das Werk mit diesem hinreißenden Anschlag, der uns schon im Chopin-Stück fasziniert hatte und einen gut genährten und doch sehr transparenten Klavierklang mit einem prächtigen Farbenbukett ergibt. Auch andere Gestaltungsmittel, wie Schattierungen oder Rubati, benutzt der Pianist sehr sinnvoll und verwandelt den Mephisto-Walzer in einen dämonischen Spuk.
Sehr subjektiv geht Debargue auch an Ravels ‘Gaspard de la Nuit’ heran, und seine offensichtlich unbegrenzten Mittel für eine intellektuell-emotional gesteuerte Klanggestaltung ergeben hier ein faszinierendes Resultat. Das Erlebnis wird genauso packend wie das beim Anhören der Interpretation von Lucy Jarnach. Die beiden kleineren Stücke von Grieg und Schubert zeigen Debargue als poetisch agierenden Sänger am Klavier.
Fazit: die erste CD des jungen Pianisten ist interessant und macht Appetit auf mehr. Aber dazu muss er wohl noch sein Repertoire ausweiten…