Die berühmteste Liebesgeschichte der Welt wurde von Prokofiev als Ballett komponiert und insofern ist es auch kein Wunder, diese Komposition eben als solches erleben zu dürfen, obwohl das Werk wohl meist als reine Musik im Konzertsaal zu hören ist, oft auch nur in stärker gekürzten Suiten als in einer abendfüllenden Version größerer Teile.
Dass es zum Genuss kommt, ist dem Gelingen dieser Aufführung zu danken. Die durchaus bekannte Komposition wird hier im Sinne des Balletts in tanzbare Bahnen gelenkt. Das bedeutet, dass der Dirigent Michail Jurowski bei der Festlegung der Tempi, aber auch der Kompaktheit der Töne zwar dem Geschehen folgt und auch die markanten Höhepunkte, wie Streit, Kampf und das Aufeinandertreffen Tybalts und Mercutios herausskulptiert, aber eben auch die lyrischen und innehaltenden Momente der Liebe und des Leids fragil und sensibel gestaltet. Ebenso nimmt er Rücksicht auf die Tänzer, um sie in ihren Bewegungen zu unterstützen und nicht zu überfordern. So bietet er den auf der Bühne Agierenden die nötige Lufthoheit, die sie zu ihrer Entfaltung benötigen. Es kommt eben hier nicht nur auf den orchestralen Effekt an, sondern die Unterlegung des Tanzes.
Christian Spuck legt die Choreographie auf den ersten Blick als Mantel und Degen- Genre an. Die die Zeit der Capulets und Montagues anzeigenden Kostüme, hier vor allem die aufwändig gestalteten Damenroben, scheinen uns in ein Zeitgemälde zu entführen. Doch schnell wird die zeitlose Thematik aus überschäumender Jugend im Freiheitsdrang und Einbindung in Struktur und Hierarchie deutlich. Kleine Details wie die dunkle Herrenkleidung und die spookige Brille (pardon) transportieren das Geschehen ins Heute. Dazu trägt auch bei, dass die Protagonisten fast immer als Gruppe erscheinen. Und die Degenkämpfe lassen sich so zeitgenössisch bei Shakespeare wie heute beim Clan-Kampf (mit Messern) in einer Großstadt verstehen.
Wenn Jurowski die Liebe einer ruhig brennenden Flamme, die über viele Jahre wärmt, der Verpuffung von Benzin, die nur den Augenblick befeuert, gegenüberstellt, dann sind wir bei Romeo und Julia. Die ganz große, ach was, einmalige Liebe, die nicht zu stoppen ist, aber tragisch enden muss, befällt die beiden. Spuck gelingt eine Choreografie, die mit wundervollen Bildern und fließenden Bewegungen einfach das Zusehen fordert. Innerliche und intime Momente werden ebenso intensiv wie sensibel von den Tänzerinnen und Tänzern dargestellt, wie auch die Gruppenszenen von emotionalem Überschäumen getragen werden. Das Corps de Ballet kann diese Bilder famos mit Bewegungen und auch Mimik gestalten und schafft so einen ebenso zauberhafte wie aussagekräftige Tableaus.
So gelingt eine stimmige Erzählung dieses großen Dramas, die wegen ihrer Bezugnahme aufs Heute sehr real erscheint und nicht mit zuckrigem Überzug die Dinge bemäntelt. Man mag dieses Hereinholen ins echte Leben bedauern, da es einen der Traumwelt entreißt. Aber Kunst darf auch die Themen ansprechen, denn auch nur so gelingt es ihr vielleicht, Aufmerksamkeit außerhalb des reinen Genusses zu erzielen.