Ich habe gerade hier eine ältere Aufnahme aus dem Jahre 1960 vor mir liegen. Auf der Rückseite findet man Bezeichnungen wie Executive Producer, Producer, Tonmeister, Editor. Was bedeuten sie eigentlich konkret?
Nun, die Bedeutung von vielen dieser Bezeichnungen hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert. Auch hängt ihre Definition von den jeweiligen Ländern ab. Ein Tonmeister in Deutschland ist nicht unbedingt das gleiche wie ein Tonmeister in Österreich oder England.
Versuchen wir es einmal mit einer allgemeinen Hierarchie.
Also ganz oben steht der Executive Producer. Das ist meistens das Plattenlabel, das den Auftrag für eine Aufnahme vergibt. Also der Geldgeber, obwohl, das muss man betonen, das Geld letztlich heute meistens von den Künstlern kommt. Dann folgt der Producer oder Tonmeister. Er ist der eigentliche Chef der Aufnahmeleitung und der direkte Vermittler zwischen dem Produzenten und dem Künstler. Ein Producer kann aber auch gleichzeitig ein Dirigent sein, wie das mit Herbert von Karajan der Fall war, der auch immer selbst gerne am Aufnahmepult saß und seine eigenen Klangvorstellungen persönlich realisierte. Dann gibt es noch den Recording Producer oder Aufnahmeleiter, der für den technischen Ablauf verantwortlich ist sowie den Toningenieur, der keine Noten lesen muss, sondern ebenfalls für technische Abläufe wie beispielsweise die Klangbalance verantwortlich ist. Der Beruf des Recording Producer gibt es seit Anfang der Fünfzigerjahre, als die goldene Ära der Schallplatte begann. Er fungierte als Vermittler zwischen den Musikern und den Technikern. Heute ist es aber so, dass viele dieser Aufgaben von ein und derselben Person ausgeführt werden. Die BBC beispielsweise ist dagegen aber sehr streng, da ist jeder Tonbereich sehr klar abgegrenzt. Meistens sind es alle Toningenieure, die einen speziellen Aufgabenbereich haben. Da kommen noch Editor und die Postproduction hinzu, die sich um die Schneidetechnik resp. den Mix, Schnitt und das Mastering kümmern.
Dann kam die ganze Sparte der Aufnahmetechnik also erst so richtig mit den Anfängen der Stereophonie ins Spiel.
Auch noch in der Mono-Ära, aber Sie haben Recht, mit der Stereophonie und diesem ganz neuen Klangerlebnis eröffneten sich aufnahmetechnisch ganz neue Wege. Übrigens, die ersten Stereoaufnahmen wurden schon Ende der dreißiger, Anfang der Vierzigerjahre unter anderen mit dem Orchester der Berliner Staatsoper unter Herbert von Karajan, den Berliner Philharmonikern und Wilhelm Furtwängler und dem Großen Berliner Rundfunkorchester mit dem Pianisten Walter Gieseking unter Arthur Rother im Auftrag von Adolf Hitler gemacht. So schlimm es auch ist, aber es waren die Nazis, die die Aufnahmetechnik enorm nach vorn gebracht haben. Damals arbeitete man mit Röhrenmikrophonen, einer Röhrenbandmaschine und nur zwei Mikrophonen. Das Resultat war sensationell.
Und was ist mit diesen Aufnahmen dann passiert. Soweit ich weiß, sind sie nicht im Handel erhältlich?
Diese Aufnahmen waren nur bei der Audio Engineering Society für Mitglieder erhältlich und zwar in Form einer restaurierten CD. Wieso, weiß ich nicht.
Nach dem 2. Weltkrieg hat man dann den Eindruck, dass der Produzent eine immer wichtigere Rolle spielt. Wie beispielsweise Walter Legge bei EMI, John Culshaw bei Decca oder Otto Gerdes bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft.
Anfang der Fünfzigerjahre kam das Multitrack-Verfahren hinzu, zuerst mit 4 dann mit 8 und 16 Spuren. Nun rückte das sogenannte Mixing plötzlich in den Vordergrund, das ausschlaggebend für ein präzis ausbalanciertes Klangbild war. Man stellte die Mikrophone nicht mehr so auf, dass die Balance stimmte, sondern so auf, dass der Klang gut war und die Balance nachträglich bearbeitet werden konnte. Zudem wurde nie auf den Bändern selbst geschnitten, sondern die 16 Spuren wurden an ein Mischpult angeschlossen, dort gemischt und das Resultat wurde anschließend auf einem 2 Spuren Stereoband festgehalten. Die ganze Postproduktion wurde immer aufwendiger, weil man mit diesem Mix ein viel besseres Resultat erzeugen konnte. Und das wiederum verlangte nach Spezialisten, die eine Partitur genau lesen konnten, den sogenannten Tonmeistern, die den Technikern zu sagen hatten, wo genau welches Instrument im Vordergrund stehen sollte. Herbert von Karajan beispielsweise nachte dieses Mixing gerne selber, weil er ein sehr spezifisches Klangbild mit einer sehr spezifischen Ästhetik im Hinterkopf hatte. Er arbeite dann mit zwei verschiedenen Tonmeistern zusammen, wobei der eine mit vielen Mikrophonen relativ vorne arbeitete während der andere wenige Mikrophone eher hinten platzierte. Das waren zwei sehr unterschiedliche Arbeitsweisen, die Karajan aber beide sehr schätzte. Allerdings behielt er sich das Recht vor, das finale Balancing selbst zu machen. Und in dieser Zeit gab es bereits 24 resp. 36 Spuren, die es zu mischen galt. Deshalb musste auch diese Arbeit rein technisch aufgeteilt werden, denn man brauchte mehrere Hände an den Fadern. Der Tonmeister sagte also, was laut Partitur zu tun sei, das Praktische machten dann die Tontechniker.
Ende der Fünfzigerjahre bis in die Siebzigerjahre wurde ja auch viel experimentiert. Originale Mono-Aufnahmen wurden künstlich zu Stereoaufnahmen umgewandelt, Culshaw versuchte sich mit dem Sonicstage-Verfahren und in den Siebzigerjahren gab es kurzzeitig ein Quadrophonie-System.
Ja, in der Tat. Plattenfirmen und Rundfunkanstalten probierten immer wieder neue Varianten der Stereo-Aufnahme aus, wie das Mitte-Seite-Verfahren, das bei monauralen Aufnahmen angewendet wurde. Hier gab es ein Monomikrophon in der Mitte und zwei auf den Seiten, wodurch ein Pseudo-Stereobild entstand. Ansonsten gibt es unwahrscheinlich viele Varianten, wie man mit zwei Stereo-Mikrophonen ein gut ausbalanciertes Klangbild erreichen kann. Maurice Barnich und ich haben unser eigenes System, was sich allerdings aus drei bewährten anderen Aufnahmeprozeduren zusammensetzt.
Das Problem mit Sonicstage und Quadrophonie bestand darin, dass es zu wenige Enduser gab, die davon profitieren konnten. Anfang der Sechzigerjahre hatten nur die wenigsten eine Top-Stereoanlage, um Culshaws Resultat genießen zu können und auch in den Siebzigerjahren gab es außer Dual kaum Firmen, die Geräte mit vier Lautsprecher-Anschlüssen für den Quadrophonie-Effekt bauten. Und es gab auch sehr wenige Schallplatten, die quadrophon aufgenommen wurden. Es ist immer die Masse der Enduser, die bestimmen, welche Verfahren überleben und welche nicht. Obwohl die Tonqualität der Blu-ray um vieles besser ist als die einer normalen CD, hat sich die Musik auf Blu-ray nie durchsetzen können. Stattdessen hatte das MP3 enormen Erfolg, trotz einer weit weniger guten Tonqualität. Und trotz eines tollen, klanglich hochwertigen und für jedermann zugänglichen Geräteangebots wird beispielsweise das qualitativ niederwertige Streaming immer beliebter. Es geht um die Masse, nicht um die Nerds.
Und die Musiker selbst?
Es sind Musiker, und die machen Musik. Technik ist, bis auf wenige Ausnahmen, zweitrangig. Und oft können Musiker gar nichts mit neuen Erfindungen anfangen. Nehmen wir die Beatles. Die hatten Anfang der Sechzigerjahre von Stereo keine Ahnung. Das Verfahren war zu neu. Und selbst dann, wenn Interesse da war, hatten sie nicht das Knowhow, um diese Technik optimal zu gebrauchen. Heute gibt es natürlich unendlich viele Möglichkeiten, aber nicht alles wird sich durchsetzen. Dabei mangelte es nie an Ideen, die Technik ist aber immer den Ideen hinterhergelaufen.
Wie wichtig ist denn die Erkenntnis, dass die Masse eigentlich das Medium bestimmt, für den Produzenten?
Natürlich sehr wichtig. Als Produzenten müssen wir ja für die Masse arbeiten, zwar nicht immer, aber wir müssen uns nach dem Geschmack der Käufer orientieren. Schauen Sie, in den letzten Jahren hat, wieso auch immer, die alte Schallplatte ein regelrechtes Revival erlebt. Mit all ihren Nachteilen. Und so müssen wir eben auch wieder Schallplatten produzieren.
Ist denn die Schallplatte jetzt wirklich besser als die CD?
Wenn wir von den technischen Fakten reden, sicherlich nicht. Die CD hat eine viel höhere dynamische Auflösung als die Schallplatte. Aber unser Ohr kann diese Dynamikabstufungen gar nicht unterscheiden. Auch die Herz-Frequenz liegt bei der CD deutlich höher, aber, wie oft hört man ein Instrument, das mit 20.000 Herz spielt? Die Schallplatte klingt wärmer, weil sie näher an unserem Klangerlebnis in der Realität liegt. Das ist der Grund. Sie ist nicht besser, im Gegenteil, neben dem MP3 ist die Schallplatte eines der minderwertigsten Medien, die herausgebracht wurden. Aber auch ich als Produzent höre mir gerne Schallplatten an, ganz einfach, weil dieses Medium lebt und eine Schallplatte mit ihrer Hülle einfach ein schönes Objekt ist. Zudem lehrt sie uns Produzenten, dem warmen, oft rohen Klang der Schallplatte nachzueifern und zu versuchen, ihn auf anderen Medien wiedererstehen zu lassen. Ich selbst bin kein Freund von diesen glattpolierten, etwas leblos wirkenden Aufnahmen, wo man kein Nebengeräusch, keine Atem, kein Schnaufen hört. Geräusche gehören auch zur Musik dazu. Zu viele Störgeräusche, wie laute Huster oder das Knarren eines Stuhls, darf man aber herausnehmen. Den Atem eines Sängers, der den Ton ankündigt, oder das Raunen eines Dirigenten aber nicht.
Sie selbst sind Toningenieur und Produzent für CD-Produktionen und Live-Konzertmitschnitte. Wie genau verläuft ihre Arbeit?
Nun, da gibt es keinen hundertprozentig gleichen Ablauf. CD-Produktionen verlangen beispielsweise eine ganz andere Vorgehensweise wie Live-Mitschnitte. Bei CD-Produktionen stelle ich die Mikrophone auf, nehme mit dem Künstler das Musikstück auf und kann in Nachhinein noch korrigieren resp. neu aufnehmen. Bei einem Live-Konzert ist das nicht der Fall. Da müssen die Mikrophone optimal stehen und auch ausbalanciert sein. Ich kann dies bei einer Live-Übertragung ja nicht mehr im Nachhinein verbessern. Meine Aufgabe besteht natürlich auch in vielen persönlichen Gesprächen mit den Künstlern, die eine CD aufnehmen wollen. Sie kommen ja zu mir, weil sie meine Arbeit kennen und schätzen. Dann erarbeiten wir ein gemeinsames Konzept und das Resultat soll so nahe wie möglich an dieses Wunschkonzept herankommen. Dazu gehört natürlich auch die Location, wo man aufnimmt. Jeder Saal ist anders und klingt auch verschieden, je nachdem er leer ist oder mit Publikum besetzt. In Luxemburg, wo ich ja auch regelmäßig aufnehme sind die Philharmonie und die alte Villa Louvigny wirklich ideale Locations.
Es gibt doch sicher auch verschiedene Aufnahmekonzepte.
Ja, man unterscheidet hauptsächlich zwischen zwei großen Aufnahmephilosophien. Die eine funktioniert mit vielen Mikrophonen, die Balance wird dann nachträglich am Mischpult erzeugt. Für die andere braucht man nur zwei oder sehr wenig Mikrophone. Und hier wird die Balance bereits vor der Produktion optimal eingestellt. Bei vielen Mikrophonen erhält man nie sofort eine optimale Balance, weil hier die Erzeugung der Räumlichkeit mit Tiefe und Breite des Klangbildes sehr schwierig ist und eben nur in der Nachbearbeitung so gut wie möglich erreicht werden kann. Es ist eine Kompromissarbeit. Wenige Mikrophone erzeugen ein besseres Raumgefühl und sind demnach viel einfacher zu verarbeiten. Aber auch hier muss man wieder den Unterschied zwischen Live- und Studioaufnahmen machen. Vor kurzem ist die neue CD mit der Flötistin Hélène Boulègue bei Naxos erschienen. Für die Aufnahme mit den Streichern der Orchestre Philharmonique du Luxembourg habe ich beispielsweise nur 6 Mikrophone benutzt, zwei für die Flötistin, zwei in den Streichgruppen und zwei hinter dem Dirigenten Gustavo Gimeno. Das ergibt ein optimales, natürliches und sehr räumliches Klangbild.
Gibt es denn oft große Unterschiede zwischen den Künstlern und Ihnen, was die Erwartungen betrifft?
Nein, meistens nicht. Es sind ja oft die gleichen Künstler, die wiederkommen. Und sie kommen ja wieder, weil sie meine Arbeit kennen und das Resultat schätzen. Es ist mir bisher 3 oder 4 Mal vorgekommen, dass Künstler und ich zu weit auseinanderlagen. Macht man dann weiter, ist meistens eine Partei nachher unzufrieden. In einem solchen Falle rate ich den Musikern, sich einfach einen anderen Produzenten zu suchen, der ihren Erwartungen besser entgegen kommt. Das ist ja auch nicht schlimm, am Ende soll eben jeder mit dem Resultat zufrieden sein.
Wer hat denn das Schlusswort bei einer CD-Produktion.
Beim technischen Team ist es der Producer, in dem Falle ich. Ansonsten ist es ein Kompromiss zwischen mir und dem Künstler. Aber da geht es eigentlich nur noch um Kleinigkeiten. Es geht natürlich auch um Vertrauen. Und meistens haben die Künstler schon dieses Vertrauen in das technische Team. Man muss natürlich immer zum Dialog bereit sein. Als ich mit meinen Studien fertig war, gab mir mein Lehrer folgenden Satz mit auf den weg: « Vergiss nicht, 90 Prozent Deiner Arbeit haben nichts mit Technik zu tun, sondern mit Psychologie.“