Im schweizerischen Bad Ragaz ging am Wochenende im ‘Grand Resort’ das 8. ‘Next Generation’-Festival zu Ende. In Kooperation mit der Musikakademie Liechtenstein und dem Hotel entwickelte Intendant Drazen Domjanic die Reihe zu einer der führenden europäischen Plattformen für Nachwuchsmusiker. Musikpublizist und ICMA-Jury-Mitglied Martin Hoffmeister gehört zu den regelmäßigen Gästen der Reihe. Im Pizzicato-Interview unterstreicht Hoffmeister die Bedeutung des Festivals.
Herr Hoffmeister, Sie besuchen das Festival seit einigen Jahren. Was unterscheidet die Reihe von vergleichbaren anderen?
Was besonders auffällt, ist die Konsistenz des Konzertangebots, der Künstlertableaus und das exzellente Niveau der involvierten Musiker und Ensembles. Die weltweite Klassik-Szene hat ein erfreuliches Luxus-Problem: Die Zahl hochtalentierter Musiker ist in den vergangenen Jahren überproportional gewachsen. Für die einschlägigen Förderinstitutionen liegt die eigentliche Herausforderung mittlerweile darin, aus dem Kreis der Begabtesten die Besten zu rekrutieren. Für viele der jungen Künstler ist die Musikakademie Liechtenstein ein wichtiger Anlaufpunkt geworden. Drazen Domjanic’ Verdienst besteht seit Jahren darin, aus diesem Kreis profilierte Kammermusik-Formationen, Ensembles und Solisten unterschiedlicher Altersstufen zusammenzustellen, die das 8-tägige Festival mit 12 Konzerten tragen. Es geht entsprechend weder um personelle Beliebigkeit, noch um virtuoses Schaulaufen Hochbegabter, sondern um eine spezifische Gruppendynamik, aus der kreative Spannungspotenziale generiert werden können. Das künstlerische Miteinander steht im Mittelpunkt, denn die Musiker kennen sich und musizieren zusammen in unterschiedlichen Konstellationen. Nicht Konkurrenz und Wettbewerb also bilden die zentrale Motivation, vielmehr wechselseitiger Erfahrungs-Austausch und Erkenntnisprozesse. Auf diese Weise werden Talente nachhaltig in ihrer Entwicklung unterstützt und auf eine mögliche Zukunft als professioneller Musiker vorbereitet.
Alle Musiker und Mitarbeiter des Festivals wohnen im gastgebenden ‘Grand Resort’, und auch die Konzerte finden nicht in einer kommunalen Einrichtung, sondern im hoteleigenen Konzert-Saal statt…
…eine Tatsache, die zahllose Synergien und ein extrem konzentriertes Arbeitsklima schafft. Mehr als alles andere aber ermöglicht dieses Modell neben kurzen Wegen: Kommunikation. Die Musiker stehen über eine Woche lang in engem Kontakt, können, auch spontan, gemeinsam proben oder diskutieren. Überdies kommen sie mit Hotelgästen und externem Publikum ins Gespräch, so dass eine inspirierende Grundstimmung entsteht. Konzertbesuchern und Hotelgästen bieten sich zudem seltene Einblicke in den komplexen Alltag von Musikern, deren spezifische Sozialisation und mentalen Herausforderungen. So entsteht eine Nähe zwischen Publikum und Künstlern, die gegenseitiges Verständnis und Zugewandtheit fördert. In Zeiten zunehmender Kürzungen bei der Kulturförderung scheinen Allianzen dieser Art neue Optionen zu eröffnen. Denn ohne entsprechende Sponsoren – in diesem Fall in erster Linie die VP Bank – und Partnerschaften – hier das ‘Grand Resort’ – ließe sich das Festival in dieser Weise kaum realisieren.
Ein Blick auf die globale Next-Generation-Szene vergegenwärtigt nicht selten auch indifferente ‘Wunderkind’-Projekte, bei denen zwar blendendes Handwerk präsentiert wird, nicht aber Musiker-Persönlichkeiten mit Perspektive. Welchen Eindruck haben Sie von den Protagonisten, die sich in Bad Ragaz vorstellen?
Ein wesentlicher Punkt. Die Gefahr, junge und jüngste Musiker zu überfordern und zu früh dem Rampenlicht auszusetzen, besteht immer. Man darf nie vergessen, dass Hochbegabte, die seit ihrem 3. oder 5. Lebensjahr täglich 3 bis 6 Stunden üben, wesentliche Teile ihrer Kindheit und Jugend zur Disposition stellen. Je nach Umgebung und familiären Konstellationen entsteht dann um solche Talente herum ein hermetischer Raum, in dem Alltag kaum Platz hat. Die Realitätswahrnehmung verschiebt sich. Umso wichtiger ist, dass diese Musiker in Eltern und Lehrern ein Korrektiv finden – was durchaus nicht immer der Fall ist. Mein Eindruck vom Nachwuchs, der sich in Bad Ragaz präsentiert: Da wird seitens der Musikakademie sehr genau im Auge behalten, dass die Balance zwischen Alltag und Übungsdisziplin in der Waage gehalten wird. Im besten Fall vernimmt man bei den mitwirkenden Kindern und Jugendlichen musikalische Exzellenz im Verein mit natürlicher Lebenszugewandtheit.
Eine ganze Reihe von Musikern und Ensembles, die sich in Bad Ragaz alljährlich vorstellen, trifft man nur Monate später auf renommierten europäischen Konzertbühnen…
…zweifellos steht das Festival für hochkarätige Entdeckungen. Es kann und soll Sprungbrett sein für Karrieren. Denken wir an Namen wie Adrien Boisseau, Aaron Pilsan, Yury Revich, Kian Soltani, Andrei Ionita oder Mario Häring. Sie alle erhielten wesentliche Impulse während der Festivalwoche. Nicht zu unterschätzen in diesem Zusammenhang sind natürlich die Talentscouts und Kritiker, die sich alljährlich in Bad Ragaz einfinden und ihre Eindrücke in die Welt tragen.
Welche Höhepunkte waren bei der diesjährigen 8. Ausgabe des Festivals zu verzeichnen?
Integraler Bestandteil der Reihe sind die Auftritte des Ensembles ‘Esperanza’. Gegründet von Drazen Domjanic und der französisch-schweizerischen Geigerin Chouchane Siranossian rekrutiert das Ensemble seine Mitglieder aus Studenten und Absolventen der ‘Musikakademie Liechtenstein’. Die Formation um Konzertmeisterin Siranossian etablierte sich in den vergangenen Jahren zu einem der führenden europäischen Kammer-Ensembles. Beispielhaft für dessen künstlerischen Status stehen nicht nur ein ICMA Award und zwei hochdekorierte CDs, sondern auch Auftritte in führenden Konzerthäusern. Besonders eindrücklich auch bei den diesjährigen Gastspielen im ‘Grand Resort’ der ungemein homogene Klang, die Präzision, Beweglichkeit und Spannkraft des Ensembles, das mit schattierten Farbwerten ebenso für sich einzunehmen vermag wie durch dynamisches Raffinement und nuanciertes Interplay. Gleichermaßen exemplarisch der Abend mit der Cello-Formation (8 Celli) um den Berliner Christoph Heesch, die mit einem breiten Repertoire-Spektrum zwischen Rossini, Morricone und Piazzolla, avancierten Arrangements sowie eminenter Spielfreude, spielerischer Konsistenz und experimentellen Klangtableaus überzeugte. Bleiben am Ende zu erwähnen die beiden ‘Artists in Residence’ des ‘Next-Generation’-Festivals, Sara Domjanic und Robert Neumann, deren Exegesen nicht nur für magische Zwischentöne, Spielkultur, Gestaltungswillen und originäre Volten standen, sondern die beispielhaft auch durch musikantische Leidenschaft Idee und Intention des Festivals repräsentierten.