Der 29-jährige Ungare Martin Rajna wird ab der Saison 2026/27 Chefdirigent des Luxembourg Philharmonic. Alain Steffen hat sich mit ihm unterhalten.

Martin Rajna

Martin Rajna, Ihre Ernennung zum nächsten Musikdirektor des Luxembourg Philharmonic kam ja sehr unerwartet und relativ kurzfristig. Erst am 15. November 2024 dirigierten Sie ihr erstes Konzert mit dem Orchester und am 9. Januar unterschrieben Sie einen Vierjahresvertrag. Was hat sie letztendlich bewogen, den Posten anzunehmen?
Als ich zum ersten Mal auf die Bühne der Philharmonie trat, fühlte ich mich sofort daheim. Und bereits nach den ersten Minuten der ersten Probe fühlte ich mich ungemein wohl mit dem Orchester.  Die Musiker des Luxembourg Philharmonic reagierten außerordentlich schnell auf meine Wünsche. Ich spürte, dass die Chemie zwischen uns stimmte.
Unser erstes Konzert fand ich richtig gut, und ich hatte das Gefühl, dass auch den Musikern die Zusammenarbeit gefiel. Die Frage, ob ich dem Wunsch, neuer Chefdirigent des Luxembourg Philharmonic nachkommen würde, stellte sich überhaupt nicht für mich. Ein tolles Orchester arbeitet hier mit einem fantastischen Management, zudem gibt es einen wunderbaren Konzertsaal. Und die Tatsache, dass die Musiker und die Kollegen hinter den Kulissen nicht nur super professionell und engagiert, sondern offene und freundliche Menschen sind, machte es mir sehr leicht, den Posten anzunehmen. Ich  bin überzeugt, hier in Luxemburg die idealen Arbeitsbedingungen zu finden, die ich brauche.

Da Sie erst ab der Spielzeit 26/27 zur Verfügung stehen, bleibt jetzt genug Zeit zur Planung. Gibt es denn schon konkrete Ideen?
Es gibt konkrete Ideen, aber im Moment kann ich noch nicht über die Details reden. Dafür ist es noch zu früh. Wie wir alle wissen, wird 2027 ein Beethoven-Jahr sein, und dazu planen wir verschiedene wichtige Projekte. Besonders wichtig ist dies für mich, weil das letzte Beethoven-Jahr 2020 wegen COVID meiner Meinung nach nicht wirklich gefeiert werden konnte. Außerdem planen wir verschiedene Tourneen mit dem Orchester in Europa, und natürlich auch außerhalb Europas.

Welches ist denn das Lieblingsrepertoire im symphonischen Bereich?
Die deutsche Romantik und die Wiener Klassiker liegen mir sehr am Herzen, und es gibt ein gewisses Repertoire aus dem 20. Jahrhundert, was ich wirklich mag, natürlich ganz speziell die Musik meines Landsmannes Bela Bartok. Ich würde dem luxemburgischen Publikum und dem Orchester die ungarische Musik sehr gerne näher bringen. Nicht nur Bartók, denn es gibt viele selten gespielte Werke von Franz Liszt, Zoltan Kodaly und Ernst von Dohnanyi, die absolut hörenswert sind.

Junge Dirigenten in bedeutenden Positionen hat es schon immer gegeben. Furtwängler wurde mit 29 Jahren Operndirektor des Nationaltheaters Mannheim, Toscanini mit 31 Chef an der Mailänder Scala, Mahler war ebenfalls 31, als er 1891 an das damalige Stadt-Theater in Hamburg ging. Und Karajan war knapp 27, als er in Aachen jüngster Musikdirektor Deutschlands wurde. Trotzdem scheint es gerade heute eine wahre Schwemme an jungen Talenten zu geben. Wie sehen Sie das?
Früher funktionierte das gesamte Musikleben noch völlig anders.  Das Berliner Publikum hatte Furtwängler nie in Mannheim und Karajan nie in Aachen gehört. Diese gigantischen Dirigenten konnten als junge Berufsanfänger viel freier arbeiten, weil sie in der damaligen Zeit und in dieser frühen Phase ihres musikalischen Wirkens  weder vom Musikleben noch von der Presse wirklich beobachtet wurden. Ihre Fehler als Dirigent oder Musikdirektor hatten somit auch keine gravierenden Folgen. Sie konnten unbeobachtet wachsen. Heute ist das ganz anders. Sobald ein Talent irgendwo auftaucht, wird es sofort vom Publikum wie auch von den Medien beurteilt und steht bereits ganz früh auf dem Prüfstein. Es gibt viele hochbegabte jüngere Kollegen und viele bekommen auch die Möglichkeit, ihr Talent zur richtigen Zeit zu zeigen. Aber sie müssen gnadenlos mit den größten und erfahrensten Dirigenten der Welt konkurrieren, was natürlich unmöglich ist. Man kann keinen jungen Dirigenten mit einem Dirigenten von Weltruf vergleichen. Das ist nicht fair und eigentlich sehr kontraproduktiv, denn diese Erwartungshaltung kann die Gesundheit und die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Dirigenten oder der jungen Dirigentin extrem schädigen. Jeder muss für seine Entwicklung auch die dafür notwendige Zeit bekommen, obwohl das im Moment sehr schwierig ist, denn der Markt ist leider unerbittlich und stellt uns enorm unter Druck. Es wird von uns verlangt, immer perfekt, immer bereit, immer frisch, authentisch und interessant zu sein. Unmöglich, aber wir versuchen es trotzdem alle irgendwie, ohne Ausnahme.

Martin Rajna

Was hat Sie denn überhaupt bewogen, Dirigent zu werden?
Als kleines Kind fühlte ich mich sehr alleine am Klavier, doch später hatte ich die Möglichkeit, die Freude eines gemeinsamen Musizierens zu erleben. Diese Erfahrung war für mich sehr wichtig und  zählte zu den allergrößten Freuden in meinem Leben. Mit 15 hörte ich zum ersten Mal eine Aufführung an der Staatsoper Budapest, und ich war so von der Rolle des Dirigenten angetan, dass ich sofort beschloss, Dirigent zu werden.

Wie würden Sie denn den Begriff Interpretation beschreiben?

Die Vision des Komponisten durch unsere eigene Persönlichkeit zum Ausdruck bringen. Beides ist notwendig: ohne Verständnis des Komponisten ist die Aufführung nicht authentisch und ohne meine eigene, persönliche Vision als Interpret wird sie völlig uninteressant.

Ist die historisch informierte Aufführungspraxis ein Thema für Sie?
Ich bewundere die Orchester, die alte Musikinstrumente benutzen, und ich versuche von ihren musikalischen Verständnis lernen. Es ist glücklicherweise ein eigener Beruf geworden, Alte Musik zu spielen, was ich wirklich sehr respektiere. Auf diesem Gebiert wird ungeheuer Wichtiges geleistet. Und ich respektiere das so stark, dass mir z.B. derzeit der Mut wirklich fehlt, die Musik von Johann Sebastian Bach mit neuen Instrumenten zu dirigieren.

Wie wichtig ist denn der Klang?
Vielleicht ist der Klang eines Orchesters das Wichtigste überhaupt. Klang bedeutet Identität für mich, doch wird der Klang viel zu oft einem leeren Perfektionismus untergeordnet. Wie schön war es damals, als die Orchester im 20. Jahrhundert nur vom Klang erkennbar waren. Das Chicago Symphony Orchestra mit Solti oder die Berliner Philharmoniker mit Karajan, sie hatten ihren eigenen, unverwechselbaren Klang. Leider ist heute alles schematisiert worden, und da jeder alles gut spielen möchte, ist das Endergebnis meistens leider sehr gleichgeschaltet. Man hört die spezifischen Eigenschaften der Orchester nicht mehr oder nur noch sehr selten.

Einer Ihrer Mentoren war der kürzlich verstorbene Peter Eötvös, ohne Zweifel einer der interessantesten und besten Komponisten der Gegenwart. Sie haben zudem mit Magnus Lindberg und Thomas Adès und György Kurtag gearbeitet. Wie ist denn ihr Verhältnis zu der zeitgenössischen Musik?
Es hat sich in den letzten paar Jahren geändert. Ich dirigiere heute wenig Neue Musik, aber was ich letztendlich dirigiere, tue ich mit großer Hingabe. Es erfordert große Anstrengungen, ein neues Stück auf die gleiche ernsthafte Art und Weise zu lernen wie ein Werk des Standardrepertoires. Wer eine komplexe, moderne Partitur auch nach Gehör beherrschen will, muss viel Energie in das Lernen investieren. Ohne diese Fähigkeit ist neue Musik zu dirigieren eine wahre Scharlatanerie.

Was zeichnet denn gute zeitgenössische Musik für Sie aus?
Ich glaube, dass gute zeitgenössische Musik mit den Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft oder/und mit den kulturellen Hintergründen zu tun hat. Sie stellt nicht nur ihre eigenen intellektuellen Fragen, sondern macht sie erlebbar, und was noch wichtiger ist, hörbar. Dies erfordert allerdings eine offene und sensible Persönlichkeit, die heutzutage bei den Komponisten leider eher selten ist.

Das Bild des Dirigenten hat sich ja in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Welcher Typ sind Sie, was ist Ihnen wichtig und wie arbeiten Sie mit den Musikern eines Orchesters?
Ich bin sicherlich kein Diktator-Typ, aber ich mag Ordnung und Disziplin. Ich liebe die Musik leidenschaftlich und widme meine ganze Energie dem Ziel, ein herausragendes Endergebnis zu erzielen. Ich arbeite gerne in einer ruhigen, friedlichen und liebevollen Umgebung, aber manchmal muss man mit dem Orchester ehrlich und direkt sein, um effizient arbeiten zu können.

Die Ungarische Staatsoper Budapest, dessen Principal Conductor  sie seit 2023 sind, ist ja sehr bekannt, weniger dagegen das Györ Philharmonic Orchestra, das Sie seit 4 Jahren leiten. Was können Sie uns über dieses Orchester sagen.
Das Philharmonische Orchester Győr wurde im Jahr 1968 gegründet, und spielt eine wichtige Rolle im Kulturleben West-Ungarns. Es ist ein der besten ungarischen Sinfonieorchesters in der Provinz und die Musiker spielen auf einem hohen Niveau. Die Konzerthalle der Stadt heißt Hans Richter-Halle, und es gibt dafür einen wesentlichen Grund: Es ist nur wenigen bekannt, dass der weltberühmte österreichisch-ungarische Dirigent, der beispielsweise die Uraufführung von Richard Wagner Ring des Nibelungen 1876 in Bayreuth dirigierte, im Jahre 1843 in Győr – damals hieß die Stadt Raab – geboren wurde. Sein Vater war Anton Richter, der als Domkapellmeister arbeitete, und für das ganze Musikleben von Győr verantwortlich war. Ich arbeite seit 2017 mit dem Orchester und bin seit 2021 dort als Chefdirigent tätig.

Sie sind ja zudem ein begeisterter und  Operndirigent. Werden Sie auch Opern in Ihre Programme in Luxemburg aufnehmen, vielleicht sogar regelmäßig konzertante Aufführungen leiten?
Definitiv. Meine ganze musikalische Auffassung kommt aus dem Gesang und dem Singen, und Oper spielt in meinem Leben seit mehreren Jahren eine ebenso wichtige Rolle wie das sinfonische Repertoire. Seitdem ich als erster Kapellmeister an der Ungarischer Staatsoper arbeite, bin ich der Oper leidenschaftlich verfallen und will auf keinen Fall mehr den Operngraben verlasen.

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