Arvo Pärt: Lamentate + Für Anna Maria – Nachdenklich + Für Alina + Fratres + Pari intervallo + Variationen zur Gesundung von Arinuschka + Für Anna Maria – Fröhlich + Vater Unser; Onute Grazinyte, Klavier, Edward King, Cello Lithuanian National Symphony Orchestra, Modestas Pitrenas; 1 CD Accentus Music ACC 30512; Aufnahme 2019/2020, Veröffentlichung 09/2020 (70’21) - Rezension von Guy Engels
« Stille ist immer vollkommener als Musik. Man muss lernen, ihr zuzuhören’, sagt Arvo Pärt. Der estnische Musiker komponiert die Stille mit wenigen Mitteln. Es ist in dem Sinne Minimal Music. Wenn es jedoch um Ausdruck und Wirkung geht, ist es Maximal Music, wenn nicht gar die Essenz der Musik.
Die junge litauische Pianistin Onute Grazinyte hat sich demnach für ihr Debut-Album nicht gerade das einfachste Repertoire ausgesucht, kein 08/15-Programm mit gängigen Stücken. Ihre Kühnheit, ihr Mut und ihre eigenen Ambitionen werden belohnt. Je länger man der Pianistin zuhört, umso mehr spürt man, wie wohl und sicher sie sich in Pärts Klanguniversum bewegt.
Onute Grazinyte macht aus der Musik beileibe keine oberflächliche Wohlfühloase, es ist nicht die Pärt-Musik, mit der man als sinnliche Untermalung möglicherweise in Saunen und ähnlichen Wellnessbetrieben berieselt wird. Die Pianistin absorbiert Pärts Musik und gibt sie ungefiltert, authentisch und unaffektiert wieder.
Eines der schwierigsten Elemente in der Musik sind die Pausen und – umso mehr noch – die Stille, Augenblicke, in denen zumindest genau so viel passiert, wie bei vollem Orchesterklang. Diese Augenblicke kann man nur richtig vorbereiten, ausbalancieren und gestalten, wenn man mit einer musikalischen Sensibilität ausgestattet ist, wie sie Onute Grazinyte sonder Zweifel hat. Pärts intime, fast scheue Klänge – der Spiegel seines zurückhaltenden Wesens – sind derart rein und zerbrechlich, dass man sie ohne das nötige Feingefühl beschädigt.
Onute Grazinyte und das Lithuanian National Symphony Orchestra unter Modestas Pitrenas spielen Pärts Musik – vor allem das Hauptwerk Lamentate – sehr ausdrucksvoll und kommunikativ. Es ist ein reines Destillat von Musik, das noch lange nach den letzten Klängen nachhallt und wirkt.
« Silence is always more perfect than music. You have to learn to listen to it, » says Arvo Pärt. The Estonian musician composes silence with few means. It is minimal music in that sense. But when it comes to expression and effect, it is Maximal Music, if not the essence of music.
The young Lithuanian pianist Onute Grazinyte has therefore not exactly chosen the simplest repertoire for her debut album. Her courage and her ambitions are rewarded. The longer you listen to the pianist, the more you feel how well and safely she moves in Pärt’s musical universe.
Onute Grazinyte by no means turns the music into a superficial oasis of well-being, it is not Pärt’s music that you might be sprinkled with as a sensual background music in saunas and similar wellness facilities. The pianist absorbs Pärt’s music and reproduces it unfiltered, authentic and unaffected.
One of the most difficult elements in the music are the pauses and – even more so – the silence. These moments can only be properly prepared, balanced and shaped if one is equipped with a musical sensitivity like the one of Onute Grazinyte. Indeed, Pärt’s intimate, almost shy sounds – the mirror of his reserved nature – are so pure and fragile that they can be damaged without such a sensitivity.
Onute Grazinyte and the Lithuanian National Symphony Orchestra under Modestas Pitrenas play Pärt’s music – especially the main work Lamentate – very expressively and communicatively. It is a pure distillate of music that echoes and has an effect long after the last sounds have been heard.