Der Messias mit Les Musiciens du Louvre und Marc Minkowski mag zunächst nach guter bis sehr guter Darbietung des Werkes klingen, aber eben auch ganz konventionell, und das als DVD? Doch diese Vermutung greift aus zwei Perspektiven zu kurz. Zum einen handelt es sich sozusagen um den Messias, nicht den Messiah, und zum anderen ist er im Operngewand zu sehen.
Mit dem Messias statt dem Messiah ist gemeint, dass Minkowski für seine Präsentation in Salzburg nicht das Original von Händel, sondern die Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozart gewählt hat. Baron Gottfried van Swieten, Mäzen der Mozart-Zeit, hatte seine umfangreiche Notensammlung auch Mozart zur Verfügung gestellt und ihn damit auch vor allem an Bach und Händel herangeführt. Mozart nutzte diese Möglichkeit und adaptierte den Messias auf den Zeitgeschmack. Unter Beibehaltung der Komposition im Grundsatz meint das vor allem eine Erweiterung der Bläserbesetzung. Dadurch erzielt er ein damals übliches, also eben klassisches Klangbild. Das wirkt weicher und geschmeidiger als das Original und damit gleichzeitig ungewohnt glatt. Man hat so ein bisschen den Eindruck, Musik von weniger talentierten Zeitgenossen Mozarts zu hören, die nicht so einfallsreich waren, aber eben schön klingen. Da Minkowski sein Orchester auch klassischer als üblich artikulieren lässt, fehlt einem fast die Schärfe barocker Spielart. Man ist immer zwischen Bekanntem und scheinbar Ungewohntem hin und her gerissen. Als Blick in die Bearbeitungspraxis ist diese Version sicherlich mal hörenswert, wenn auch dem Original der oberste Podestplatz bleibt.
Diese charmantere Lesart entpuppt sich dann im Zusammenspiel mit der Inszenierung als Glücksfall für diese. Wilson fasst das Werk nicht einfach als religiöses Werk, sondern als spirituelle Reise und kommt damit, wenn der Begriff nicht schon belegt wäre, zu einem Ansatz als Gesamtkunstwerk, in dem Bewegungen, Körper, Licht und Raum zu Gesang und instrumentaler Musik treten. Damit will er den Augen eine Dimension geben, um die Musik besser zu hören. Nun sind Anpassungen von Opern und Oratorien an die konkrete Aufführungssituation schon immer und gerade in der Zeit üblich gewesen und auch bis heute nicht vergessen. Eine Besonderheit ist es schon, ein Oratorium mit starken visuellen Effekten zu verbinden.
Beim Messias trifft Wilson sozusagen auf ein wesensverwandtes Werk, denn im Messias werden lose Bibelzitate zu einem Werk verknüpft, die zwar einen Ablauf, aber eigentlich keine Handlung ergeben. Und da auch Wilson bei seinen Inszenierungen nicht an Handlung klebt, sondern frei assoziiert, fügen sich die Dinge hier nahtlos aneinander. Abstrakt wie die Handlung ist der einfarbig eisig blassblaue rechteckige Kasten als Bühnenraum, der mit Solisten, Chor und Objekten belebt wird. Wie man diese Elemente betrachtet bleibt jedem selbst überlassen, etwa bei der kopflosen Puppe mit Hummer an der Leine, dem Astronauten oder den schon früh hereinschwebenden, ja was, Holzstücken, wie sie am Strand angespült werden? Oder auch der Strohbär, der im wahrsten Sinne des Wortes der alemannischen Fastnacht entsprungen zu sein scheint und von einem anmutig in die Ferne blickenden Mädchen zurückgewiesen wird. Dazu kommen Videoinstallation von Wasserwelten, seien sie fließend oder gefroren, die sich schwingend, schiebend, wie bei einem Feuerwerk oder beim Vulkanausbruch entfalten bis explodieren.
Wenn man auch nicht alles verstehen mag, so sind viele Bilder doch auch fesselnd. So gelingt etwa in der Sopran-Arie ‘Ich weiß, dass mein Erlöser lebet’ ein innigliches Bild, wenn die Sängerin unter einem schwarzen verdrehten Portal die Hand hebt und die Arie mit tiefgreifender Hoffnung singt, wozu ein Tierskelett in Nebelschwaden erscheint.
Dieser Lichtraum von Wilson wirkt betörend. Das erfordert dann auch gar nicht, dass viel passiert. Wilson lässt kunstvoll stehen und schreiten. Diese gemessenen Bewegungen werden durch die edlen Roben gestützt. Mitunter belebt ein solistischer Tänzer die Szene. Die Sopranistin Elena Tsallagova schüttet Wasser aus der einen in die andere Karaffe und sich dann über den Kopf, ein Taufritus? Der Tenor Richard Croft agiert gleichzeitig als Conférencier, der tänzelt und lächelt. Ob man diese Auflockerung bis hin zum Clownesken will, mag jeder selber entscheiden, je nachdem wie ernsthaft er die religiöse Komponente nimmt oder etwas Leben dazu gutheißt. Der Inszenierung tut dieses Aufbrechen der Seriosität eigentlich gut, um Eintönigkeit zu vermeiden. Leichtfüßig verwirrend deutet Robert Wilson die Endzeit und nimmt damit dem Geschehen die Dramatik.
Das Solistenquartett ist hervorragend. Elena Tsallagova hat einen anrührenden Sopran, der gut zu Mozart passt und weniger zu Händel gehören würde. Sie entwickelt sich vom Engel der Verkündigung zu einer luziden Gestalt, die auf dem Nachen über den nebelumwobenen See gleitet, als würde sie die Seelen in das Totenreich begleiten. Dazu singt sie strahlend unnahbar und entführt in überirdische Sphären. In der Alt-Szene ‘Er ward verschmähet’, in der Wiebke Lehmkuhls intensive, bis ins Deklamieren gehende Stimme erklingt, wird deutlich, dass diese dunkle Stimme gut zu den eisigen Welten von Robert Wilson passt. Ihre auch bewegliche Rolle gibt ihr im Vergleich mehr irdische Präsenz, die sie gelassen ausstrahlt.
Der Tenor Richard Croft tänzelt, lacht und zwinkert nicht nur, sondern gibt bereits mit ‘Tröstet Zion!’ als erster Arie des Abends eine großartige Ausdrucksgestalt in einem ruhig beseelenden Pianissimo vor. Dabei strahlt er die tiefgreifende Zuversicht eines göttlichen Wesens aus, die richtungsgebend für den Abend ist. Mühelos und ausdrucksstark meistert der bolivianische Bassist José Coca Loza die Koloraturen. Kostüm und Haartracht suggerierten Nähe zu Konfuzius. Unter diesem Eindruck wandelten sich seine prophetischen Aussagen zu Botschaften jenseits christlicher Ausrichtung mit großer Ernsthaftigkeit.
Während Croft und Lehmkuhl zu ihren Arien tänzeln, fordert Robert Wilson vom Sopran und Bass konzentriertes Stillhalten.
Der Philharmonia Chor Wien agiert leider nicht durchweg auf diesem Niveau. Zwar singt er oft ausgezeichnet, nimmt sich dann aber sozusagen Auszeiten, in denen er in sich inhomogen agiert oder auch mal im Tempo etwas schleppt. Das ist schade und beeinträchtigt den Gesamteindruck dann doch.
Marc Minkowskis Interpretation offeriert die dunklen Tiefen des Originals, die durch Mozarts Einwürfe, durch Reduktion, Instrumentierung und maßvolle Veränderungen, aufgehellt werden. Das Orchester musiziert durchlässig transparent auf dem gewohnt herausragenden Niveau. Nicht Angst und Tod sollte der Zuschauer erfahren, sondern Trost, und das nicht erst in der finalen Amen-Fuge.