Der Dirigent Michael Gielen (87) gibt aus gesundheitlichen Gründen das Dirigieren auf. Lesen Sie aus diesem Anlass einen Beitrag von Remy Franck.

Michael Gielen
(c) Wolfram Lamparter/SWR

Die NMZ hat Michael Gielen als eine Institution bezeichnet « als Musiker und als Gewissen der Musik ». Vielleicht wurde ihm ja das Talent schon in die Wiege gelegt. Michael Gielen wurde 1927 in Dresden geboren und emigrierte 1940 mit seiner Familie nach Argentinien. Er zählt bedeutende Künstler zu seinen nahen Verwandten: Sein Vater war ein namhafter Regisseur und Direktor des Wiener Burgtheaters; sein Onkel, der Pianist und Komponist Eduard Steuermann, war ein Schüler Busonis und Schönbergs.

Michael Gielen studierte in Buenos Aires (Philosophie, Klavier, Theorie, Komposition). Seine Karriere begann er daselbst als Korrepetitor am Teatro Colón. 1949 brachte er, noch in Buenos Aires, das gesamte Klavierwerk von Arnold Schönberg zur Aufführung.

Nach Europa zurückgekehrt, wurde er 1950 Korrepetitor und Dirigent an der Wiener Staatsoper. Von dieser Zeit an entfaltete sich mehr und mehr seine Tätigkeit als Konzertdirigent.

1960 wurde Michael Gielen zum musikalischen Leiter der Königlichen Oper in Stockholm und 1968 zum Chefdirigent des Belgischen Nationalorchesters berufen. Später leitete er bis zum Jahr 1975 die Niederländische Oper. Er hat als Gast die Mehrzahl der bedeutenden Orchester Europas dirigiert; von 1978 bis 1981 war er ‘Chief Guest Conductor’ des ‘BBC Symphony Orchestra’ in London. Auslandstourneen führten ihn nach Australien, Japan und in die Vereinigten Staaten, wo er mit Beginn der Saison 1980/81 die Position des ‘Music Director’ des ‘Cincinnati Symphony Orchestra’ übernahm. Ab 1977 war Michael Gielen Direktor der Frankfurter Oper und Generalmusikdirektor der Stadt Frankfurt. Michael Gielen, der Frankfurt 1987 verließ, bezeichnet seine Frankfurter Zeit « ohne Zweifel als die wichtigste in meinem Leben ».

 

Michael Gielen

Michael Gielen

Mit Beginn der Spielzeit 1986/87 übernahm Michael Gielen die Stelle des Chefdirigenten des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg. Innerhalb eines breiten Repertoires, das sich von Bach bis zur zeitgenössischen Avantgarde erstreckt, setzte er Schwerpunkte bei zyklischen Aufführungen und Einspielungen der Sinfonien von Beethoven und Mahler.

Ab der Spielzeit 1999/2000 war Gielen, der sich auch als Komponist einen Namen gemacht hat, Ständiger Gastdirigent des SWR-Orchesters Baden-Baden und Freiburg.

Hier ist ein Auszug aus einem Gespräch, das ich mit Michael Gielen führte, in dem er für ihn sehr charakteristische Meinungen äussert.

Sie haben an etwas nicht immer geglaubt, nämlich an den Musikbetrieb. Sind Sie eigentlich auch jetzt, im hohen Alter immer noch so kritisch?
Ja! Ich finde immer noch die meisten Programme langweilig. Die meisten Abonnementprogramme müssen dem Publikumsgeschmack entgegen kommen und ziemlich konservativ sein. Es braucht eines unheimlichen Charismas des Dirigenten, z.B. von Herrn Rattle, um ziemlich viel neuere Musik in seinem Programm durchzusetzen und dann auch noch damit großen Erfolg zu haben. Aber generell gesehen, glaube ich nicht, dass das öffentliche Musikleben ein sehr interessantes ist. Ehrlich!

Gibt es, wenn Sie jetzt auf Ihre Karriere zurückblicken, eigentlich so etwas wie Perioden? Haben Sie eine Sturm- und Drangperiode gehabt, sind Sie in der letzten Zeit etwas ruhiger geworden?
So ist es! Wenn ich mich mal aufgeregt habe, als junger Mensch, war ich meistens zu schnell. Also der Vorwurf, dass ich zu schnell war, der hat sicherlich gestimmt, außer bei Beethoven, weil ja da die Tempi nicht von mir stammten, sondern aus der Metronomisierung von Beethoven. Aber ich schon sehr ungeduldig, und das hat sich zwischenzeitlich schon ein wenig gelegt und vielleicht sind dadurch meine Tempi jetzt ausgeglichener. Ich habe das z.B. bei Mahler gemerkt, da hatte ich, als ich anfing in Baden-Baden, 1986/1987 die Gelegenheit, die Neunte von Mahler zu dirigieren und als ich sie mir dann anhörte, war ich enttäuscht von mir selber, weil die Burleske viel zu schnell war. Das Stück wurde nicht mehr deutlich, weil es eben zu schnell war und deshalb habe ich vor zwei Jahren das Werk noch einmal einstudiert, öffentlich gespielt und auch aufgenommen und damit bin ich jetzt zufrieden. Man braucht halt für so schwierige, große und reife Werke auch selber eine gewisse Reife..

  • Pizzicato

  • Archives