Fast kann man sich fragen, ob hier nun eigentlich Musik von Mahler oder von Berio erklingt. Bei den Liedern und Gesängen aus der Jugendzeit, die Mahler für Männerstimme (fünf Lieder) bzw. für Bariton (sechs Lieder) mit Klavier setzte, konnte Berio seinen Wunsch umsetzen, diese zu orchestrieren. Nicht hinderlich war, dass er dafür Kompositionsaufträge erhielt.
Die von Berio komponierte ‘Sinfonia’ für acht solistische Gesangsstimmen und großes Orchester, die knapp zwanzig Jahre früher entstand, hat neben vielen anderen literarischen und musikalischen Bezügen vor allem im dritten ihrer fünf Sätze einen sehr konkreten Bezug zu Mahler. Dieser Satz ist ein umfassendes Zitat des Scherzos der Zweiten Symphonie. Allerdings hat Berio selber es so beschrieben, dass dieser Satz bzw. die ganze ‘Sinfonia’ sich bei ihm wie ein Strom in unübersichtlicher Landschaft entwickelt, der immer wieder verschwindet und dann auch wieder auftaucht, allerdings in veränderter oder kaum erkennbarer Form. In jedem Fall ist dieses Werk, Leonard Bernstein zum 125-jährigen Bestehen des ‘New York Philharmonic’ gewidmet, etwas ganz Besonderes, das die Grenzen der seriellen Musik sprengt und Diskussionen herausgefordert hat.
Die ‘Sinfonia’ wird hier prachtvoll interpretiert. Die Spielfreude ist enorm. Teilweise könnte man fast Angst haben, dass der Ton ins Schunkeln gerät und sich überschlägt, aber davor sind die Ausführenden, ‘The Synergy Vocals’, das ‘BBC Symphony Orchestra’ und der Dirigent Josep Pons gefeit. Diese Darbietung scheint Berios Ansatz zu stützen, dass das System als Möglichkeit für die Musik zu sehen ist und nicht umgekehrt. Man scheint fast – auch im Hörvergleich mit der Aufnahme eines großen dirigierenden Komponisten der seriellen Musik, Pierre Boulez – den Eindruck zu haben, dass hier die Freiheit von Zwängen eine freudige Musikdarbietung erlaubt und eine verkopfte verdrängt.
Für die Präsentation der Lieder tritt mit Matthias Goerne ein herausragender Sänger unserer Tage an. Er wird in der Aufnahme sehr präsent vor dem Orchester postiert und kann sich auch bei den stärker orchestrierten Partien locker mit klarer und verständlicher Artikulation einsetzen. Er scheint manchmal dem Musikantischen von Mahler zu misstrauen und bleibt lieber bei klassischer gemessener musikalischer Darbietung.