Vor dem Hard Rock, dem Rock und dem Rock’n Roll gab es das Barock. Dass gerade das Barock vielleicht die frühste Form der Rockmusik sein könnte, daran ließen die Sopranistin Simone Kermes und das Barockorchester ‘La Folia’ das Publikum im Barocksaal des Klosters Machern bei Bernkastel-Kues mehr als einmal denken, behauptet Alain Steffen in seiner Konzertkritik.
Mit Simone Kermes hatte das Mosel Musikfestival eine der überragendsten Barocksängerinnen unserer Zeit verpflichtet. Große Künstler zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie auch auf kleineren Bühnen eine hundertprozentige Leistung geben und ein Konzert bei einem ‘kleinen’ Festival wie dem ‘Mosel Musikfestival’ die gleiche Qualität besitzt wie ein Auftritt in der Carnegie Hall oder der Mailänder Scala.
Für das Konzert im Kloster Machern hatte sich Simone Kermes für ein scheinbar gegensätzliches Programm mit geistlichen Motetten (‘In furore iustissima irae’, ‘In turbato mare irato’) von Antonio Vivaldi und weltlichen Opernarien von Nicola Antonio Porpora (aus ‘Polifermo’, ‘Mitriade’ und ‘Germanico in Germania’), Georg Friedrich Händel (‘Piangero la sorta mia’) und Leonard Leo (aus ‘Zenobia Palmira’) entschieden. Ein Programm, das die ganze Gesangskunst der Simone Kermes auf beeindruckendste Weise zur Geltung brachte. Mit dem Rhythmusgefühl und der Leidenschaft einer Rocksängerin wurden die schnellen und hochvirtuosen Arien zu atemberaubenden Momenten, bei denen man als Zuhörer nur staunen konnte.
Die stimmliche Virtuosität von Simone Kermes ist ebenso einzigartig und konkurrenzlos wie die mit Leichtigkeit bewältigten Oktavenwechsel und die sichere Höhe. Der Gesang und vor allem die Stimme dieser Sängerin scheint weder Hürden noch Grenzen zu kennen. Und dabei wirkt der ganze Vortrag völlig entspannt; nie scheint die Sängerin angestrengt. Im Gegenteil, sie scheint mit der Musik machen zu können, was sie will. Doch nicht nur die virtuosen Arien sind wahre Glücksmomente, auch die langsamen Teile, wie beispielsweise die Mittelteile der beiden Motetten, erreichen in Kermes Interpretation eine Tiefe, die einem die Schauer über den Rücken laufen lässt. Völlig losgelöst auch ‘La Folia’, das seine ‘Frontsängerin’ mit rhythmischer Prägnanz, Spielfreude und technischer Brillanz fantastisch begleitet. Und in den vier rein orchestralen Werken, der Sinfonie in D aus Porporas Oper ‘L’Agrippina’, Vivaldis ‘Olimpiade’ und Händels ‘Xerxes’- Ouvertüre, sowie Hasses Introduttione zu ‘Il cantico de‘ tre fanculli’ zeigten die Musiker, wie wunderbar barocke Musik klingen kann.
Nachdem die letzte Arie verklungen war, gab es tosenden Applaus und Standing Ovations für Simone Kermes, die sich, gut gelaunt und kommunikationsfreudig, nicht lange bitten ließ. Bei der ersten Zugabe zum Mitklatschen für das ganze Publikum (Barockmusik darf ruhig Spaß machen!) holte sich die Sängerin zwei Damen auf die Bühne zum abrocken und -tanzen. Es folgten noch drei weitere Zugaben, darunter die wohl schönste Arie des Barock, nämlich Händels ‘Lascia eh’io pianga’, die Simone Kermes mit einer ungeheuren Intensität zu gestalten wurde. Ein denkwürdiger Konzertabend von Weltformat!