Der zweite Teil der Mravinsky-Edition beginnt mit einer attraktiven Suite aus dem Nussknacker-Ballett, aus dem Mravinsky mehr spielt als sonst in Suiten zu hören ist, u.a. den Marsch, die Christbaumszene und die Schlacht der Mäuse und Pfefferkuchen-Soldaten. Musikalisch ist das alles ebenso effektvoll wie spannend, künstlerisch wesentlich interessanter als das nachfolgende Flötenkonzert von Mozart.
Von den beiden Stravinsky-Suiten beginnt das ‘Petrouchka’-Ballett etwas verhetzt und überrhythmisch, mit schlagkräftigen Akzenten, die in ihrer orchestralen Schärfung in starken Kontrast gesetzt werden zu ganz beschaulichen Passagen. So erzielt Mravinsky eine durchaus spannende Annäherung von ‘Petrouchka’ an den ‘Sacre du Printemps’ und den ‘Feuervogel’, der gleich danach in einer fulminant brodelnden Interpretation zu hören ist.
Dass Mravinsky für französische Musik nicht das richtige Gespür hatte, zeigen alle seine Aufnahmen aus diesem Repertoire, und die brutal akzentuierte, völlig unsensibel dirigierte und vom Publikum zerhustete ‘Symphonie Fantastique’ von Hector Berlioz ist ein flagrantes Beispiel mehr. Die Auszüge aus ‘Carmen’ und ‘L’Arlésienne’ nach dieser Berlioz-Symphonie sagen uns nichts Anderes: Mravinsky liefert Rohkost ohne französisches Dressing. Grausig!
Eine ganze Prokofiev-CD enthält die 2. Suite aus ‘Roméo et Juliette’, zum Teil sehr virtuos und elegant-verspielt, zum Teil auch wirklich gefühlvoll musiziert. In der danach zu hörenden Symphonie Nr. 6 rast Mravinsky am Sujet vorbei. Fünfeinhalb Minuten weniger braucht er als Kitajenko in seiner Kölner Einspielung, immerhin drei Minuten weniger als Gergiev. Und diese Rasanz geht auf Kosten der Bedeutsamkeit.
Eine weitere CD enthält die ‘Alpensinfonie’ in beachtlicher orchestraler Qualität, etwas grell zwar im Klangbild und ohne viel Streicherschmelz, aber atmosphärisch nicht schlecht. Freilich: da bei Strauss der Orchesterklang sehr wichtig ist, kann die Aufnahme klangtechnisch nicht befriedigen.
Die Aufnahme der Wagner-Ouvertüre ‘Rienzi’ von 1940 ist klangtechnisch nicht mehr vertretbar.
Die Sechste Symphonie Piotr Tchaikovskys ist das letzte Werk des zweiten Teils der Mravinsky-Edition, und die Einspielung vom 25. März 1949 ist interpretatorisch vielleicht das Beste, was der Dirigent in Sachen ‘Pathétique’ aufgenommen hat. Der erste Satz ist dramatisch aufgewühlt (wenngleich ohne die Tiefe, die ein Kitajenko hier erreicht hat). Der dritte Satz ist ein Musterbeispiel an fein ziseliertem, transparentem und dynamisch aufregend gesteuertem Spiel. Das glühende Finale Adagio lamentoso gehört bei aller Grandeur zu dem Ausdrucksvollsten, was der gerne etwas kühle Techniker Mravinsky hinterlassen hat.