Dreißig bzw. beinahe vierzig Jahre ist es her, dass sich Michael Tilson Thomas dien Symphonien Nr. 3 und 4 von Charles Ives auf CD widmete. Damals leitete er die Orchester aus Chicago und Amsterdam. Nun legt er die Einspielung mit seinem Orchester aus San Francisco in einem Konzertmitschnitt vor. Kombiniert werden die beiden Stücke mit ausgewählten Amerikanischen Hymnen.
Bereits als Ives noch ein Kind war, wurde die Vorliebe für sich überlagernde Klänge gelegt, die die meisten Menschen als schräg empfinden. Das hatte er von seinem Vater mitbekommen, der diese zufälligen Überlagerungen genoss, etwa wenn diverse Musikkapellen bei Volksfesten zusammen kamen oder wenn die Begleitung fälschlicherweise eine andere Tonart verwendete als die führende Stimme. Ives machte daraus für sich ein Kompositionsprinzip, womit er zum Schreckgespenst des bürgerlichen Publikums und auch mancher Musiker wurde.
Während seine Dritte Symphonie von solchen Aspekten frei ist, kann man sie in der Vierten gut erkennen. Beiden Werken und auch den American Hymns ist gemein, dass sie in gewisser Weise auf amerikanischer Volksmusik basieren, wenn man neben Kirchenliedern auch Militärmärsche und patriotische Musik ebenso dazu rechnet wie Studentenlieder sowie Salon- und Varieté-Musik.
Die Zusammenstellung der beiden Symphonien zeigt also zwei Seiten des Komponisten. Im Klangerlebnis ist die Dritte eher ruhig und auch für den mit dieser Musik wenig vertrauten Hörer nachvollziehbar. Die Vierte fordert den Lauschenden deutlich.
Die Interpretationen aus San Francisco machen diese Unterschiede deutlich. Gegenüber den alten Aufnahmen fallen nur geringfügige Unterschiede auf. Die längere Spieldauer bei der Vierten, die beinahe gleiche bei der Dritten Symphonie machen da keine Ausnahme. Vielleicht wirkt insbesondere die spätere Symphonie noch klarer strukturiert und noch deutlicher artikuliert als damals, was wohl eher für die größere Durchdringung durch den Dirigenten und auch im Orchester spricht. Denn hatte Stokowski bei der Uraufführung noch zwei Dirigenten hinzugezogen, um das Werk zu bändigen, belässt es MTT bei einem weiteren; andere wagen sich allein daran.
Die eingestreuten Hymnen sind mit Bezug auf die in den Symphonien eingesetzten Kirchenlieder zu hören. Der Chor bewältigt seine Partien sehr gut, ohne an die Feinheit der Gestaltung amerikanischer Orchester ganz heranzureichen. Das Orchester und MTT sind eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich den komplizierten Aufgaben mit hörbarem Genuss und technisch herausragend widmen. In solch überzeugenden Darstellungen verliert das enfant terrible Charles Ives einen Großteil seines Schreckens.