Virtuosität kann verblüffen, Bewunderung und Staunen hervorrufen. Sie bleibt jedoch nur eine leere Hülle, bloß Schaustück, wenn dahinter kein musikalischer Gedanke steckt, kein Sinn für Form und Ausdruck. Wie das geht, wie Virtuosität musikalisches Gestaltungsmittel sein kann, bewiesen die Stipendiaten aus der Violinklasse von Ingolf Turban, am Klavier begleitet von Tatiana Chernichka. Guy Engels berichtet.
Als besondere Schaustücke nimmt man gern die Capricen von Nicolo Paganini, vorzüglich als Nachschlag zu einem Konzertstück. Kein liebloses Dessert, sondern ein feines Stück Filet servierte uns Till Stümke mit dem populären Caprice Nummer 24. Der junge Geiger spielte sehr raffiniert mit den unzähligen Gestaltungsmöglichkeiten, die Paganini ihm vorlegte und formte daraus einen spannenden, abwechslungsreichen kurzen musikalischen Einakter.
Ähnliches gelang auch Anastasia Dziadevych in der Solo-Sonate Nr. 6 aus Opus 27 von Eugène Ysaÿe. Sie setzte ihre subtile, reichhaltige Palette an Klangfarben mal kraftvoll, expressiv ein, mal ganz zart und lyrisch, ohne je den Spannungsbogen zu verlieren. So gelang ihr ein findiger, ausgeklügelter Umgang mit den Carmen-Themen, die Ysaÿe in dieser Sonate meist nur andeutet.
Noch einmal Ysaÿe gab es mit Lucie Bartholomäi – Poème élégiaque op. 12. Ich „möchte es schaffen, dass sich das Publikum von der Musik berühren lässt“, schreibt die Violinistin auf ihrer Internetseite. Und das gelang ihr eindrucksvoll beim Konzert in Eschen. Lucie Bartholomäi spielte ausdrucksstark, traf den wehmütigen Klang dieser Elegie auf den Punkt, ohne den zweiten Zusatz dieser Komposition zu vernachlässigen: Poème. Immer wieder durchsetzte sie den Klagegesang, die melancholische Stimmung mit lichten, hoffnungsvollen Momenten.
Viel Licht, viel Elan, viel Feinheit brachte Moë Dierstein in den Eröffnungssatz von Mozarts 5. Violinkonzert. Der verspielte, musikantische, schlanke Ton verlieh der Musik eine wunderbare Schwerelosigkeit. Ein kleines Lächeln der Violinistin unterstrich zudem ihre eigene, innige Freude an dieser Komposition, die sie gerne mit ihren Zuhörern teilte.
Ein weiteres Schwergewicht aus der Konzertliteratur gab es mit dem Finale aus Tschaikowskys Violinkonzert. Wobei Schwergewicht ganz und gar nicht auf die Interpretation von Ilva Eigus zutrifft. Im Gegenteil: Sie gestaltete dieses virtuose Finale gewandt und spritzig, mit viel Kantabilität und tänzerischem Elan.
Den Schlusspunkt des Konzertes in Eschen setzte Leonhard Baumgartner, Discovery Award bei den International Classical Music Awards (ICMA) 2023, mit der C-Dur-Fantasie von Schumann/Kreisler. Leonhard Baumgartner ging den Dingen auf den Grund, spielte nicht oberflächlich, sondern sehr ausdrucksstark und emotional. Nahtlos gelangen ihm die Übergänge von Introspektion zu verspielten Episoden, als stünden Schumanns Florestan und Eusebius im Dialog.