Das Musikfestival ‘Next Generation’ in Bad Ragaz ist eine musikalische Talentwarte mit Erfolgsgarantie. Hierhin kommt der Musikfreund nicht, ohne junge Talente zu entdecken. Das verwundert auch weiter nicht, ist doch das obere Becken, aus dem der Talentsee im Ostschweizer Rheintal gespeist wird, die ‘Internationale Musikakademie Liechtenstein’, eine der Hochburgen der musikalischen Ausbildung, in die jährlich etwa 80 ausgesuchte junge Musiker aufgenommen werden, um in Intensivwochen eine musikalische Ausbildung der ganz besonderen Art zu genießen. Wie das genau funktioniert, werden wir in einem separaten Beitrag erklären.
Hier sind zunächst einmal unsere Eindrücke vom Festival ‘Next Generation’, das Intendant Drazen Domjanic wiederum im ‘Grand Resort Bad Ragaz’ organisierte, im wunderschönen Ambiente dieses Wellness-Luxushotels, das einen so ästhetisch perfekten und damit entsprechend wertvollen Rahmen abgibt für dieses Festival.
Der Talentbeobachter wurde gleich am ersten Abend fündig und reich belohnt. Das Eröffnungskonzert präsentierte Solisten, die vom ‘Ensemble Esperanza’ begleitet wurde, einem Kammerorchester, das sich aus Stipendiaten der ‘Musikakademie Liechtenstein’ zusammensetzt, geleitet von der französisch-armenischen Geigerin Chouchane Siranossian als Konzertmeisterin. Sie hat ihre Truppe wunderbar zusammengeschweißt, und wenn jugendliche Spielfreude ein wertvolles Element ist, so ist der musikalische Dialog wohl das Wichtigste hier. Jeder Musiker ist gefordert, auf die Kollegen zu hören und so den gemeinsamen Diskurs zu gestalten. Das Ensemble spielt im Stehen, was pulsierende Dynamik und zündende Energie fördert, wobei solistische Impulse und Ensemble-Geist in einem kernig-dichten Klang homogen verschmelzen. Chouchane Siranossian hat dabei Kraft und Musikalität genug, um dem musikalischen Ausdruck gegenüber der Verwendung von Effekten den Vorzug zu geben.
Im Eröffnungskonzert spielte ‘Esperanza’ Mozarts Divertimento KV 136 und Mendelssohns Streichersinfonie Nr. 9, feingliedrig, kammermusikalisch ausgelotet, und begleitete auch zwei Solisten. Der 20-jährige Österreicher Aaron Pilsan zeigte sich als versierter Gestalter in Haydns D-Dur Klavierkonzert, das er virtuos und zugleich mit einem ausgeprägten Sinn für Klangpoesie interpretierte. Absolut hinreißend war der 21-jährige Andrei Ionita, der gewiss nicht ohne Grund den Tchaikovsky-Wettbewerb 2015 gewonnen hat. Im C-Dur-Cellokonzert von Joseph Haydn schwelgte er mit wunderbarem Lyrismus, bereicherte das Werk aber auch mit viel Gestaltungsfantasie und einer bemerkenswerten Farbpalette. Zweifellos wächst hier ein Cellist heran, der noch viel von sich reden machen wird.
Im zweiten Konzert, mit dem Untertitel ‘Asiens Junge Künstler’ gefielen ICMA ‘Discovery Award’-Preisträger Nikolai Song, Querflöte, der mit voll geöffneter Seele, vielen Farben und einer reichen Phrasierung Werke von Vivaldi und Gaubert spielte, am Klavier hoch sensibel begleitet von Mario Häring.
Der Japaner Mao Fujita spielte Bach/Busoni und Liszts ‘Dante-Fantasie’ spannungsvoll und mit viel Atem. Der Japaner Rennosuke Fukiuda hingegen blieb in Werken von Fauré, Paganini, Kreisler und Wieniawski wegen Farb- und Wärmemangels etwas hinter den Erwartungen zurück.
Am Abend des zweiten Festivaltags riss das Schweizer Ensemble ‘Swing Kids’ unter der Leitung von Dai Kimoto das Publikum im Bernhard-Simon-Saal zu Begeisterungsstürmen hin.
‘Tastentiger’ waren am 14. Februar angesagt. Dass Tiger auch sehr gefühlvoll sein können, zeigte gleich am Anfang der Beethoven-Preisträger Filippo Gorini (*1995), der für einen so jungen Musiker ungewöhnlich tief in die 31. Klaviersonate von Ludwig van Beethoven eintauchte und in diesem Werk auch den großen Bogen herstellen konnte.
Sehr ‘straightforward’ und als durchaus gebändigter Tiger spielte Philipp Scheucher (*1993, Österreich) Liszts h-Moll-Sonate, während der junge Stuttgarter Robert Neumann (*2001) in Werken von Chopin und Rachmaninov beeindruckte. Hier fielen vor allem die klare Sicht der Dinge und ein völlig unverkrampftes Spiel auf, dessen Intelligenz beeindruckte. Aus Malaysia kommt die 20-jährige Hao Zi Yoh, die mit Auszügen aus Albeniz’ Iberia auftrat.
Ferner konnten wir den etwas überzüchteten russischen Pianisten Alexander Denisov (*2003) hören und erneut Robert Neumann mit einer sehr differenziert gestalteten ‘Dante-Fantasie’ von Liszt.
Zwei Konzerte stachen nach aus dem Programm heraus: eine Matinee mit Doppelkonzerten und ein Ensemblekonzert mit ‘Esperanza’. In der Matinee fügten sich Solisten und Orchester ausgewogen und in nahezu idealer Balance zu einem Ganzen, mit Viktor Praxmarer und Marcel Üstün im Konzert für 2 Hörner von Georg Ph. Telemann, den Schwestern Chouchane und Astrig Siranossian im Konzert für Violine und Cello RV 547 von Vivaldi, mit Sara Domjanic und Adrian Buzac im Konzert für Oboe und Violine von Johann Sebastian Bach sowie Nikolai Song und Eva-Nina Kozmus im Andante und Rondo für zwei Querflöten von Franz Doppler. Hier verschmolzen Solisten und Orchestermusiker, alles Stipendiaten der ‘Internationalen Musikakademie Liechtenstein’, in einem ständig pulsierenden Dialog und auf einem herausragenden musikalischen Niveau.
‘Esperanza’ stellte sich mit Carl Philipps Emmanuel Bachs transparent aufgefächerter Sinfonie e-moll vor und begleitete den zwanzigjährigen, hoch talentierten britischen Bratschisten Timothy Ridout in einer Transkription von Mozarts Klarinettenkonzert, die trotz des insbesondere im langsamen Satz betörend lyrischen Spiels des Solisten als Bratschenkonzert nicht wirklich funktionieren wollte. Spannend wurde es mit ‘Armenischen Miniaturen’ von Komitas und absolut brillant dann mit Haydns Symphonie Nr. 49, ‘La Passione’, in der das ‘Ensemble Esperanza’ mit einem pulsierenden, aber nie drängenden, griffigen Klang keine Wünsche offen ließ. Die unverzärtelte, gut konturierte Artikulation und die prägnante Tongebung gaben der ‘Passione’ viel Charakter und Punch.
Und so bleiben mir von dieser sechsten Ausgabe von ‘Next Generation’ als ‘sichere Werte’ die Pianisten Filippo Gorini, Robert Neumann und Mario Häring, der Cellist Andrei Ionita und der Flötist Nikolai Song in Erinnerung, und natürlich das ‘Ensemble Esperanza’. Intendant Drazen Domjanic darf jedenfalls zufrieden sein. Was er neben den genannten Künstlern noch an ebenfalls interessanten jungen Musikern präsentieren konnte, beweist einmal mehr das überragende Niveau der ‘Internationalen Musikakademie Liechtenstein’.