In seiner dreizehnten Symphonie verwendet Dmitri Shostakovich couragiert das von den Sowjets gebrandmarkte Gedicht Babi Yar zum Gedenken an das (vom Moskauer Regime verdrängte) Massaker, bei dem die Nazis in einer Schlucht bei Kiev über 33.000 Juden umbrachten. Auch die vier anderen Gedichte – Humor, Im Laden, Ängste, Eine Karriere – stammen vom Autor von Babi Yar, Maxim Yevtushenko; Ängste ist eine Bestellung des Komponisten für diese Symphonie und hat die Angst der Bevölkerung vor dem Stalinismus zum Inhalt. Die Sowjets hatten alles Mögliche unternommen, um Shostakovich Steine in den Weg zu legen, sie hatten den Dirigenten Mravinsky so unter Druck gesetzt, dass er sich weigerte, die Uraufführung zu dirigieren, und der Solosänger erschien nicht zur Generalprobe und musste kurzfristig ersetzt werden. Die Uraufführung fand schließlich dennoch statt, aber ohne jede öffentliche Ankündigung, und danach wurde der Text der Symphonie verändert, so dass kein Bezug mehr zu der auch von den Sowjets praktizierten Judenverfolgung vorhanden war. Die Symphonie blieb jahrelang in der Sowjetunion verboten. 1970 wurde eine Kopie der Partitur mit dem Originaltext in den Westen geschmuggelt und vom Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy aufgeführt.
Riccardo Muti dirigierte die Symphonie im selben Jahr in Rom, was von den zahlreichen italienischen Kommunisten und deren Parteiführern als Provokation aufgenommen wurde.
In der Aufführung in Chicago zeigt Muti in einer sehr ernsthaften Auseinandersetzung seine tiefe Verbundenheit mit der Symphonie.
Im Gegensatz zu anderen Dirigenten vermeidet er Leidenschaftlichkeit und Dramatisierung, extreme Farbtönungen und andere effektvolle Gestaltungsmittel und findet so (darin Kitajenko und Jansons ähnlich) eine optimale Balance und eine spannungsvolle Gefühlstiefe, um die Botschaft Shostakovichs in eindringlicher Sachlichkeit zum Ausdruck zu bringen.
Dabei wird er von den Choristen und Musikern des Chicago Symphony wie auch vom Solisten Alexei Tikhomirov vorbildlich unterstützt. Tikhomirovs Gesang zeichnet sich durch eine nachdrückliche Textbezogenheit und eine tiefe Menschlichkeit aus.
Selbstverständlich werden die vorhandenen Crescendi mit brodelnder Kraft realisiert und klingen umso bedrohlicher, weil sie aus großen Flächen von tiefer und düsterer Ruhe erwachsen.
Der spöttische Charakter des zweiten Satzes (Humor) äußert sich hier in einen fatalistischen Sarkasmus und macht dann einer bedrückenden Trostlosigkeit im dritten Satz Platz, ehe Muti im Satz ‘Ängste’ die von Shostakovich selber hautnah erlebte Bedrohung im Polizeistaat schauererregend gestaltet.
Im helleren Finale, einem Allegretto, hütet sich Riccardo Muti vor jeder Überzeichnung. Die vermeintliche Heiterkeit bleibt bei ihm sehr verhalten, er legt dafür umso mehr Wert auf Menschlichkeit und eine fast zärtlich formulierte Hoffnungsbotschaft.
Und so ist dies denn eine große, würdevolle Interpretation, die zu den besten dieser Symphonie zu zählen ist, deren Bedeutung heutzutage umso wichtiger ist, als man in vielen Ländern einen wachsenden Antisemitismus beobachten kann.