Riccardo Muti ist nicht der erste italienische Dirigent, der mit dem ‘Chicago Symphony’ die ‘Symphonie Fantastique’ aufgenommen hat. 1983 zeigte Claudio Abbado mit den Amerikanern, was diese Episoden eines Artistenlebens, komponiert von dem unbändigsten aller französischen Komponisten, wirklich in sich haben, von den fast unheimlichen Träumen des 1. Satzes bis hin zur völlig entfesselten ‘Ronde du Sabbat’. Damals schrieb ich: « Abbado hat den Pulsschlag dieser Musik gefühlt, er beweist Sinn für Spannungsauf- und Spannungsabbau, er vermittelt ekstatische Musik in vollendeter Darstellung durch ein an allen Pulten hervorragendes Orchester, dessen Geigen ebenso zu überzeugen wissen wie sein Holz oder sein Blech. »
Abgesehen von der herausragenden Qualität des Orchesters ist die neue Aufnahme mit Riccardo Muti das exakte Gegenteil von jener Abbados. Hier geht es ums klangliche Raffinement, ums liebevoll gepflegte Detail, um sehr überlegte Phrasierungen, um dynamische Schattierungen, um feinste Farbabstufungen, um präziseste innere Bewegungsabläufe. Muti erreicht somit – in übrigens durchaus moderaten Tempi – die Suggestion auf eine ganz andere, subtilere Weise als viele seiner Kollegen und baut ganz auf das Unbeschreibliche dieser beschreibenden Musik. Auch im Marsch zum Schafott gibt es bei Muti nichts Knalliges, und der Hexensabbat wirkt mehr durch seinen Detailreichtum und die feine innere Bewegung der Musik als durch orgiastische Klänge.
Grosso modo ist dies also eine eher zurückhaltende ‘Fantastique’, eine Symphonie, bei der man sich nicht mitreißen lässt, sondern Details hören und eine phänomenale Orchesterarbeit verfolgen und im Ohr zergehen lassen kann.
Wenn für die ‘Symphonie Fantastique’ (1830) Berlioz’ Liebe zu Harriett Smithson als Inspiration diente, war es bei ‘Lélio’ (1831) seine Verlobte Camille Moke, die den Komponisten freilich für einen anderen Mann verließ (worauf er schließlich doch Harriett heirate, allerdings hielt die Ehe nicht sehr lange).
Lélio, das Alter Ego von Berlioz, ist ein Erzähler, und diese Rolle übernimmt hier Gérard Depardieu als perfekter Interpret der Illusionslosigkeit des Komponisten.
Musikalisch dringt die ‘Idée fixe’ aus der ‘Symphonie Fantastique’ in die Lélio-Musik hinein und verbindet die beiden Werke. Aber auch sonst hat Berlioz hier so manche Melodie wiederverwendet.
Mit Mario Zeffiri hat Muti einen am Rande der Überforderung singenden Tenor zu Hand, mit Kyle Ketelsen einen sehr guten Bariton für die ‘Chanson des Brigands’. Zusammen mit dem überragenden Depardieu, den Solisten und dem ‘Chicago Symphony Chorus’ entwirft Riccardo Muti das düstere Bild eines frustrierten, verbitterten Mannes, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat und ärgerlich nach dem ‘Retour à la vie’ (Rückkehr ins Leben) sucht, der nur in der Erfüllung seiner künstlerischen Aspirationen bestehen kann. Eine insgesamt sehr spannungsvolle, packende Interpretation!
If any conductor has shown Berlioz art of orchestration to perfection, it’s Riccardo Muti in this recording of both Symphonie Fantastique and Lélio. It’s not the orchestral force which is interesting to Muti, but the refinement of the sound, the carefully treated details and the overall tension which give the music its full part of mystery.