Die amerikanisch-chinesische Geigerin Nancy Zhou (25) hat den Internationalen Isaac Stern Wettbewerb in Shanghai gewonnen. Sie überzeugte die Jury offenbar mit ihrer Darbietung des Pflichtswerks ‘La joie de la souffrance’ von Qigang Chen sowie dem Violinkonzert von Pior Tchaikovsky und erhielt den mit $100.000 dotierten Ersten Preis. Remy Franck berichtet von der bis zum Schluss spannenden Endrunde des Wettbewerbs in Shanghai.
Der zweite Preis ($50.000) ging an Olga Sroubkova (Tschechei, 25), der dritte ($25.000) an Diana Tishchenko (Ukraine, 28). Die restliche Platzierung ergab Jia Yi Chen (China, 22), Chang Yuan ‘Belle’ Ting (Kanada, 18), Yun Tang (China, 26).
Doch zunächst gab es gestern Abend ein Konzert mit den beiden letzten Kandidatinnen. Die 18-jährige und damit jüngste Kandidatin, die Kanadierin Chang Yuan, genannt ‘Belle’, Ting machte den Anfang. Sie wurde auf Taiwan geboren, wuchs aber in Kanada auf und studiert seit 2011 in Wien bei Dora Schwarzberg und Lucia Hall. Sie hat bereits den Arthur Grumiaux-Wettbewerb gewonnen und den 2. Preis im 24. Internationalen Johannes Brahms-Wettbewerb.
Im Chen-Konzert ‘La joie de la souffrance’, das sie etwas affektiert begann, dann aber zu einer letzten Endes sehr guten Darstellung führte, gelang es ihr, den einzelnen Teilen ihre richtige Bedeutung zu geben, zwischen Nachdenklichkeit, Nostalgie, rasender Unruhe, Drang und Entschlossenheit. Rein technisch gesehen koordinierte sie sich gut mit dem Orchester, fiel durch eine feine Artikulation auf, und man glaubte, bei ihr auch mehr Noten zu hören als bei den anderen Interpretinnen. So weit, so gut.
Dann aber kam es zum Drama. Die junge Geigerin hatte sich entschieden, das Brahms-Violinkonzert zu spielen, einen schweren Brocken, dem sie ganz eindeutig noch nicht gewachsen war. Es fehlte ihrem Spiel nicht nur an Klangfülle, an der Darstellung großer Linien, an Farben und Souveränität, es war generell war eine denkbar schlechte Aufführung! Wer auch immer in der Umgebung der Geigerin diese Wahl gutgeheißen hatte, sollte sich die Haare ausreißen. Mich jedenfalls schmerzte nicht nur ihre Intonationsunsicherheit, sondern der Umstand, eine junge Musikerin so in ihr Verderben rennen zu hören.
Die 1993 geborene Tschechin Olga Sroubkova hat in Prag, Moskau und Hannover studiert. Sie hat bereits Preise in einigen weniger bedeutenden Wettbewerben gewonnen, sowie, im Mai 2017, den Ersten Preis im Wettbewerb ‘Prager Frühling’.
Sie spielte das Konzert ‘La joie de la souffrance’ als einzige der Kandidatinnen auswendig und traf mit ihrem Interpretieren hundertprozentig das Idiom der Musik. Es hörte sich an, als ob sie das brandneue Werk schon seit langer Zeit in ihrem Repertoire hätte. Auch sie differenzierte die einzelnen Abteilungen nach ihrer jeweiligen Bedeutung und faszinierte auch rein geigerisch mit warmem Ton und schillernden Farben, etwas, das auch ihre souveräne Interpretation des Violinkonzerts von Piotr Tchaikovsky auszeichnete.
Der Aufbau großer Melodienbogen im schwungvoll gespielten ersten Satz, ein schönes Maß an Raffinesse sowie viel Persönlichkeit und Präsenz hoben sich sofort vom Rest der Kandidatinnen ab.
Der einfühlsam gespielte zweite Satz, den Michael Stern mit spürbarer Bewunderung begleitete, und der vollkommen natürlich musizierte, federnd leichte und spontan wirkende Finalsatz waren ebenso bewundernswert. Hier verbanden sich gestalterische Intelligenz, Musikalität, Rhetorik und Ausdruckskraft zu einem Ganzen. Und damit stand für mich fest: Olga Sroubkova hatte den Ersten Preis verdient. Dass sie ihn letztlich nicht bekam, lag wohl daran, dass bei solchen Wettbewerben mit solch einer Geiger-Jury das rein Technische zählt, und nicht das Interpretatorische. Daher verleihe ich Olga Soubrova den Pizzicato-Supersonic Award. Den kann keine Jury ihr streitig machen.