Zugegeben, ich hatte mir von dieser Einspielung nicht allzu viel erwartet. Ich sagte mir zwar, das Gewandhausorchester habe sicher mehr Erfahrung mit Bruckner als Andris Nelsons, und daher werde die CD wohl keine Enttäuschung, aber, dass ich mich dafür begeistern könnte, hatte ich nicht gedacht, zumal der Dirigent nicht die Originalfassung benutzt, sondern die viel kürzere und glattere 3. Fassung von 1889. Nun muss ich zugeben, dass diese Annahmen falsch waren. Nelsons’ Dritte Bruckner hat was!
Da ist erst einmal eine Grundeinstellung von Bewunderung, die Nelsons Aufnahme spannend macht. Er scheint mit fast kindlichem Staunen vor dem gewaltigen Werk zu stehen, und dieses eigene Erstaunen und die eigene Bewunderung der Musik vermittelt er dem Hörer. Man missverstehe mich nicht: Ich habe nicht den Eindruck von besonders viel geistig-religiöser Kraft hier, oder von romantischer Überschwänglichkeit. Ich höre aber auch nichts Nüchternes, keinen modernen entschlackten und rohen Bruckner, wie ihn andere Dirigenten in letzter Zeit gerne präsentieren. Dieser Bruckner klingt einfach nur gut.
Das Problem des Musikflusses löst Nelsons intuitiv richtig, weil ihm eindeutig ein feinjustiertes Management der berüchtigten Bruckner- Pausen gelingt. Nelsons lässt sich durch diese Pausen nicht im Vordringen beirren, aber er überstürzt auch nichts. So entsteht ein roter Faden, dem er konsequent folgt und mit dem er die vier Sätze der Symphonie in logischer Folge eint.
Darüber hinaus gewinnen die langsamen und ruhigeren Passagen viel an Relief, weil Nelsons mit gutem tonalen Gefühl die Phrasierungen sehr sorgfältig herausarbeitet, sehr viel Wert auf Farbnuancen legt und eine perfekte Balance im Orchester herstellt. Davon profitiert das Adagio am meisten, das zwischen Aufbäumen und Niedergehen seinen Misterioso-Charakter voll erfährt.
Den dritten Satz nimmt der Dirigent mit viel Elan, fast verspielt, das Finale wird mächtig gesteigert, klingt aber im zweiten Thema auch ausgesprochen unbekümmert, und das ist sehr gut so, denn Ermattung darf es eigentlich in diesem Satz keine geben.
Dass die Dritte die sogenannte Wagner-Symphonie ist, weil sie Wagner der Zweiten vorzog und sie sich von Bruckner widmen ließ, diesen Bezug macht man in Nelsons Interpretation nicht aus. Daran erinnert wird der Hörer, wenn am Ende der CD noch die Tannhäuser-Ouvertüre erklingt, etwas emphatisch und deklamatorisch, finde ich. Dieses
Stück haben andere eleganter und schlanker dirigiert.