Lang gezogene Linien, bedeutungsvolle Pausen, ruhiges Schwingen, so steigt Andris Nelsons in Beethovens Erste Symphonie ein, und da hört man hin, das klingt vielversprechend, ja ich freute mich regelrecht, weil ich mir erhoffte, endlich mal wieder eine einwandfrei gute Produktion mit Nelsons zu hören. Doch nein, leider sollten die Erwartungen enttäuscht werden. Bereits die beiden letzten Sätze der Ersten Symphonie werden lieblos abgespult, ohne Akzente, ohne wirkliche Inspiration.
Die Zweite beginnt mit einer fleißigen Arbeit der Wiener Philharmoniker, aber die hätten das so wohl auch ohne Dirigent spielen können. Der langsame Satz wirkt merkwürdig pathetisch und die beiden letzten Sätze bleiben im Bereich von Normalität. Die Wiener Philharmoniker spielen auf hohem Niveau, ohne wirklich gefordert zu werden.
Der erste Satz der Dritten, der Eroica, ist nichts Besonderes, relativ zahm, ohne die nötige Spannung und ganz gewiss ohne das Drama, das es in diesem Satz gibt. Den Trauermarsch nimmt der Dirigent ganz besonders langsam, und er gerät letztlich etwas schwerfällig. Auch hier bleibt Nelsons seltsam inaktiv, setzt auf Breitwand-Klangwirkung und vergisst dabei jede Detailarbeit. Auch die beiden letzten Sätze bleiben flach und letztlich unrhetorisch.
Nach einem etwas starren ersten Satz lebt die Vierte im sehr lyrisch formulierten Adagio auf. Die beiden letzten Sätze können sich auch hören lassen.
Die Fünfte beginnt kraftvoll, aber warum Nelsons dann die Bremse anlegt und dadurch alles Drängende verlorengeht, ist rätselhaft. Der Satz klingt wie Karajan ohne Drive.
Puren Wohlklang gibt es im langsamen Satz. Doch dann, im dritten Satz, oh mein Gott, da passiert wieder gar nichts. Wo andere Dirigenten die Musik elektrisieren, tröpfelt sie hier spannungslos dem Finalsatz entgegen, der zwar Klangpracht verbreitet, aber völlig ohne Drive auskommen muss, wodurch die ganze Symphonie ihren innovativen, revolutionären Charakter verliert.
Nelsons ist im Grunde ja ein Sentimentaler, ein Schwärmer. Deshalb gelingt ihm auch die Sechste sehr gut. Die Wiener helfen ihm mit Streicherglanz und prächtigen Holzbläsern. Dass man Details vermisst, die andere hervorgehoben haben, und Sekundärlinien nicht hervorstechen, kann man bei diesem Wohlklang akzeptieren.
Wenn Nelsons Tempi in den Symphonien generell moderat bis sehr langsam sind, so dirigiert er die Siebte Symphonie schneller als viele andere Dirigenten. Zudem sind hier kräftige Farben angesagt. Das Allegretto geht er sehr emotional an, nicht ganz so viel wie Bernstein, aber doch mit starker Wirkung. Was ihn dann im Presto gepackt hat, ist nicht ganz verständlich, weil so ein Tempo in den Aufnahmen von Chailly, Kleiber, Karajan, Harnoncourt passt, aber hier eben nicht. Dennoch, zusammen mit dem Finalsatz erleben wir endlich mal spontan musizierende Wiener Philharmoniker.
Die ungeliebte Achte finde ich bei Nelsons oft zu laut, durchgehend nicht differenziert und nicht elegant genug. Auftrumpfen, Wucht statt Raffinement scheint hier das Motto zu sein.
Die Belanglosigkeit und Behäbigkeit des ersten Satzes der Neunten ist stupend. Das Scherzo ist kräftiger, aber es fehlen ihm die Leichtigkeit, das Tänzerische und vor allem das, was man seit Karajan Drive nennt.
Lang sich hinziehend, auf einer Wohlklang-Wolke folgt das Adagio. Hier agiert wieder der Sentimentale und zelebriert mit breiter Gefühlsgebärde. Dieser Klangdroge kann man sich durchaus hingeben und sich dabei wohlfühlen. Im Finalsatz bestimmend weitgehend Chor und Solisten den Charakter des Satzes. So entwickeln sie eine gewisse Eigendynamik, mit dem die Musik gut über die Runden kommt.
Nun, was haben wir denn so, summa summarum, nach fast sechs Stunden Beethoven, abgehört von einer einzigen Blu-ray Disc, die locker diese ganze Musik aufnehmen kann (sehr praktisch, da braucht man nicht mehr aufzustehen, um die CDs zu wechseln)? Nun, die Summe ist ganz klar negativ. Zu wenig Gutes ist vorhanden, dafür umso mehr Mittelmaß und Routine, zu viel Laisser-aller statt Gestaltung. Es gibt in diesem Wischi-Waschi-Beethoven kein Interpretationskonzept, nichts erkennbar Persönliches, keine Rhetorik. Am Ende bleibt nur der Eindruck von Gebastel.