Der Komponist Detlev Glanert gehört zu denjenigen, deren Schaffen von Opern durchzogen ist. Von der Uraufführungssaison letztes Jahr an der Deutschen Oper Berlin liegt jetzt ein Audiomitschnitt vor. Basierend auf dem Entwurf der gleichnamigen Novelle von Theodor Fontane hat Hans-Ulrich Treichel den Text zur opernfähigen Fassung geformt und Glanert die Musik geschrieben. In gut eineinhalb Stunden wird gezeigt, wie die titelgebende Oceane von Parceval, eine mysteriöse und attraktive Frau, die Gästeschar eines heruntergekommenen Grandhotels, insbesondere den Gast Dircksen, in ihren Bann zieht. Von unbekannter Herkunft hält sie sich nicht an Regeln, tanzt ekstatisch, verlobt sich plötzlich mit Dircksen und ist dann verschwunden. Diese dem Metier der Nixen Zuzurechnende hat die Gesellschaft mit ihrem Verhalten überfordert und damit deren unzivilisierten Seiten hervorgeholt, die die sittlichen Bahnen verlassen, sie gieren nach Geld und Sex. Damit zeigt das als Sommerstück bezeichnete Werk eher die Charakteristika eines Untergangsdramas.
Glanert ist in seinem Element, wenn es darum geht, maritime Welten mit Musik darzustellen. Wogende mächtige Chöre und ein groß besetztes Orchester machen den Wellengang, von plätschernden bis zu aufgepeitschten Wellen im Orkan, hörbar. Dabei beginnt die Oper so wie sie endet, geräuschhaft und wortlos erzeugt sie den Sog des Wassers. Avantgardistisch fasst Glanert seine Musiksprache zwar nicht, aber dafür erreicht er seine Zuhörer, denn das Werk ist theaterwirksam, abwechslungsreich und effektvoll.
Die Riege der Singenden ist überzeugend: Maria Bengtsson als Oceane füllt die Titelrolle stimmlich überzeugend aus. Ihr kräftiger und zugleich leichter Sopran legt sich mit heller Schönheit über das Zetern der Masse. Glanert schafft es, ihrer Rolle etwas zu geben, das mit einem Schimmer von außerhalb schwebt. Doris Soffel gibt die Hotelbesitzerin, deren Haus vor der Pleite steht, als verzweifelnde Geschäftsfrau. Nikolai Schukoff mimt den überforderten Liebhaber, der die Welt der Oceane nicht begreift. Der Pfarrer Baltzer des Albert Pesendorfer zeigt mit seinem Bass mit scharfer Diktion, wie die Religion Andersdenkenden mit religiösem Eifer vernichtend zusetzt. Das andere Paar, Kristina und Albert, ist mit Nicole Haslett und Christoph Pohl ebenfalls gut getroffen.
Der fremdenfeindliche Mob, den der von Jeremy Bines einstudierte Chor der Deutschen Oper bewundernswert beweglich singt, trägt seine maßgebliche Rolle. Später, wenn der Chor sich stimmlich zum schwarzgrauen Mob zusammenrottet und auch die Musik höllisch aufschreit, dann kann man das als Extremismus hören. Für die Stereotypen einer Opernwelt fehlt es dem Werk an ausreichenden Proportionen. Die Figuren wirken vokal prägnant, bekommen aber keine Entwicklungslinien.
Dirigent Donald Runnicles, Chef der Oper und Kenner der neuen Musiklandschaften, findet Mittel und Wege, die orchestralen Farben in alle Richtungen zu entfalten. Unter seiner Leitung kann die Komposition das ausleben, was Oper ausmacht. Die Musik überbietet eigentlich die Bühne. In der Aufnahme stehen die Solisten klanglich aber sehr im Vordergrund, so dass die Orchestermusik gelegentlich fast wie eine Nebensache wirkt. Glanert nutzt spätromantische Zitate, die etwas Unwahres vermitteln genauso wie gutbürgerliche Tonalität für die Krämerseelen. Doch es gibt keine Befriedung. Oceane ist verschwunden und für einen Neuanfang ist es zu spät.