Die Sextette von Johannes Brahms blicken beide zurück. Während der Rückblick im ersten Sextett in B-Dur, op. 18, musikalischer Natur ist – der langsame Variationssatz enthält Anklänge an die Chaconne in d-Moll für Solovioline von Johann Sebastian Bach und an die Variationen für Klavier c-Moll von Ludwig van Beethoven -, ist derjenige im zweiten sehr persönlich. Brahms verarbeitete das Ende einer Romanze mit Agathe von Siebold, einer jungen Sopranistin, indem er im Kopfsatz des zweiten Sextetts für das Seitenthema ihren Namen (mit dem Ton ‘d’ anstelle des ‘t’ als Diphthong zum ‘h’) verwendet.
Brahms hat nach wenigen Vorläufern mit dem Streichsextett eine Gattung geschaffen, die von Dvorak, Gade, Raff, Schönberg, Strauss, Tchaikovsky und vielen anderen mit herausragenden Beiträgen fortgeführt wurde, meistens aber nur mit einem Werk pro Komponist.
Für die Aufnahme hat sich das Mandelring Quartett, das seit zwei Jahren einen neuen Bratschisten in seinen Reihen hat, mit seinem vorherigen, Roland Glassl, der sich auch schon für die Quintette hinzugesellt hatte, und dem Cellisten Wolfgang Emanuel Schmidt zum Ensemble formiert.
Das Mandelring Quartett hat für seine Einspielungen zumeist hohe und höchste Benotungen erhalten. Für die erweiterte Formation begeben sie sich auf ein neues Terrain, das es gesondert zu entdecken und erobern gilt. Zum einen ist erstaunlich, dass sich die reguläre Umbesetzung schon in kurzer Zeit zu einem so ausgewogenen Klang geführt hat. Das auch das Zusammenspiel mit dem Ehemaligen immer noch makellos funktioniert, ist nicht überraschend, denn wenn die Trennung Stimmungen hinterlassen hätte, hätte man auch nicht wieder zusammen gefunden. Doch auch die zweite Ergänzung, der Cellist, verhilft zu einem geschlossenen harmonischen Klang.
Interpretationen der Werke von Brahms bedürfen nicht nur exzellenter technischer Fähigkeiten, sondern auch einer enormen Musikalität und einer großen Gestaltungsgabe. Denn die Strukturen folgen zwar konventionellen Mustern, überraschen aber dennoch immer wieder mit unerwarteten Besonderheiten. Einem versierten Ensemble wie dem Mandelring Quartett und auch seinen Mitspielern fällt es natürlich leicht, alle diese Anforderungen zu erfüllen. Herausgekommen ist eine ausgewogene und auch intensive Interpretation, die gestalterische Übertreibungen vermeidet und trotzdem mit Wärme und Elan überzeugt.