Die ganze Vielfalt stilistischer Mittel und musikalischer Farben, derer Leonard Bernstein fähig war, findet sich in seiner 1971 komponierten Messe. Neben klassischen Sätzen einer Messvertonung erklingen auch Spirituals und Passagen, die die Verwandtschaft zur ‘West Side Story’ nicht leugnen. Außerdem finden politische Kommentare ihren Weg ins Werk, immerhin befanden sich die USA im Vietnamkrieg, und Bernstein war auch ein politischer Mensch.Anders formuliert: das Werk ist uneinheitlich in seinen stilistischen Mitteln und mit einer bestimmten Epoche verbunden. Für die unterschiedlichen Ansätze sorgt auch die Besetzung mit verschiedenen Chören, einem den Kleriker ersetzenden Zelebranten, Rock-Band, Marching Band und Symphonieorchester.
Betrachtet man die Spirituals gesondert, so fällt auf, dass diese sakralen Stücke für einen Mitteleuropäer erstaunlich bis erschreckend fröhlich daherkommen und eher an Musicalmelodien als an geistliche Choräle erinnern. Insofern geht Bernstein auch deutlich weiter als etwa Michael Tippett mit den doch eher konventionell klingenden Spirituals in ‘A Child of Our Time’.
Das Orchester und der Dirigent Yannick Nézet-Séguin gehören zu den exzellenten Interpreten unserer Zeit. Sie gestalten Bernsteins Musik Musik mit voller Kraft und Spielfreude und bringen alle Seiten mit Bravour und Ausdrucksstärke zum Klingen. Ihnen gelingt es auch, trotz dieser Vielfalt der Bestandteile, das Werk zusammen zu halten und die diversen Sänger und anderen Beteiligten strukturiert einzubinden.
Dass das Werk ein Herzensanliegen von Nézet-Séguin ist, wird mit dieser Aufnahme deutlich: sie ist ein sehr persönlicher Einstieg in das hundertste Geburtsjahr des großen amerikanischen Komponisten und Dirigaten.