Das wichtigste Argument zugunsten Yannick Nézet-Séguins Mendelsohn-Symphonien ist die Einheit, die seine Interpretationen zwischen hochvirtuosem, pulsierendem, romantisch ausgehorchtem und elegisch-lyrischem Musizieren erlangen.
Zwischen dem ‘Chamber Orchestra of Europe’ und dem Dirigenten herrschen offenbar eine völlige Harmonie und ein starker Wille, gemeinsam etwas Seriöses zu arbeiten.
Wer befürchtet hatte, Nézet-Séguin würde wie ein Wirbelwind durch die Symphonien rasen, wird feststellen, dass hier deutlich mehr geboten wird. Der Kanadier erweist sich als ein Dirigent, der den Klang sorgfältig modellieret, ständig die Rhetorik aufrecht erhält und auch vor Emotionen keine Angst hat. So entstehen im Fluss der Musik ein gesundes Rubato, ein feines Relief mit subtiler Artikulationskunst und dynamischen Veränderungen, es entstehen wohlklingende Differenzierungen, wie sie nur zustande kommen können, wenn es zwischen Dirigent und Orchester eine perfekte Komplizenschaft und eine organische gewachsene Bereitschaft zum gemeinsamen Interpretieren gibt. Das ‘Chamber Orchestra of Europe’ ist äußerst agil, wendig und absolut souverän und frei.
Nun hat man die Symphonien Nr. 1, 3, 4 und 5 gewiss in ähnlich guten Einspielungen gehört, aber ich erinnere mich an keine ‘Lobgesang’ (Symphonie Nr. 2), die so leicht und locker daher kommt, befreit von jedem pompösen Ansatz und jedem erdrückenden Pathos. Diese ‘Lobgesang’ ist ein zunächst einmal ein Gesang der gelösten Freude. Das Adagio religioso bleibt luftig und leicht, und gewinnt dennoch die richtige Ausdruckstiefe
Neben dem ‘Chamber Orchestra of Europe’ hilft der RIAS-Kammerchor aus Berlin Yannick Nézet-Seguin auch in den Vokalteilen der Symphonie, Mendelssohn leicht und flexibel klingen zu lassen. Nirgends belastet Schwere die Musik, die Musik schwingt wunderbar geatmet und mit einer eleganten Noblesse, die ihren Charakter bestens trifft.
Der Tenor Daniel Behle ist stilistisch wie stimmlich untadelig. Auch Regina Mühlemann bleibt elegant. Leider kann Karina Gauvin dieses Niveau nicht halten, weder stimmlich noch vor allem interpretatorisch: ihre Stimme ist doch etwas zu schwer in diesem Kontext.
Was die in der Pariser Philharmonie live gemachte Aufnahme anbelangt, so ist sie sehr klar und deutlich, wohl ausbalanciert, aber etwas zu sehr in die Tiefe und nicht genügend in die Breite disponiert. Sie klingt fast wie eine allerdings sehr gute Mono-Aufnahme.
Yannick Nézet-Séguin and the Chamber Orchestra of Europe are absolutely pulling together in their finely differentiated Mendelsohn performances. There are other excellent interpretations for the Symphonies No. 1, 3, 4 and 5, yet I do not remember any Lobgesang (Symphony No. 2) as light, fresh and free from pomp, overdone emotionalism and stark solemnity.