« Unsere Interpretation soll beim Publikum die Empfindung wecken, es höre die Musik zum ersten Mal. Das ist mein Ziel. » Wow, das ist ein Ziel! Ich hatte den Satz in der Pressemitteilung entdeckt, als ich gerade die Symphonien Nr. 1 und 3 gehört hatte, die auf der ersten der 5 CDs enthalten sind. Nun, ich hatte die beiden Werke sofort wiedererkannt und kann wirklich nicht sagen, dass ich viel Neues darin entdeckt hätte. Hin und wieder eine ungewohnte Akzentuierung, da oder dort eine neue Farbe.
In der Dritten gibt es nichts Nennenswertes herauszustreichen. Den Trauermarsch nimmt Nézet-Séguin bedächtig und auch emotional, aber neu ist das ebenso wenig wie der Schwung der beiden letzten Sätze. Freilich wird technisch auf hohem Niveau musiziert, und die Tonaufnahme ist gut, etwas dicht, aber räumlich und transparent.
Gespielt wird übrigens mit dem Material der unlängst abgeschlossenen Neuen Gesamtausgabe der Werke des Komponisten, wovon dies die erste Gesamtaufnahme der Symphonien ist.
Also dann, CD Nr. 2 mit, zu Beginn der Sechsten, der Pastorale. Auch hier nichts Neues unter Sonne, denn so wie Nézet-Séguin die Symphonie dirigiert, haben es unzählige Male auch andere getan. Ich habe sogar den Eindruck, dass er besonders sorgfältig dirigiert, gut vorbereitet und à la lettre, nicht wirklich spontan und inspiriert.
Auffallend ist vielleicht ein besonders farbiger und tänzerischer dritter Satz, sicher der interessanteste Teil der Symphonie.
Danach dirigiert Nézet-Séguin einen drängend und impulsiv gestalteten ersten Satz der Achten, wohingegen die Mittelsätze recht banal klingen. Recht humorig dirigiert er den Finalsatz, Beethovens Kreislaufsatz, in dem sich alles dreht und wendet.
Auf der dritten CD folgt dann die vielleicht beste Aufnahme, eine wirklich inspirierte und lockere Zweite Symphonie, wie man sie zwar schon oft gehört hat, aber diese hat wirklich was…
Für die Fünfte gilt wiederum die Feststellung, dass Nézet-Séguin nichts Neues zu sagen hat. Er dirigiert sportlich-vital, im ersten Satz mit schnellem Tempo, ansonsten fein differenzierend, aber es gibt von dieser Symphonie spannendere Einspielungen. Insbesondere der letzte Satz klingt mehr nach Pflichtarbeit als nach wirklich feurigem Musizieren.
Auf der CD Nr. 4 folgt zunächst die Vierte Symphonie. Sorgfältig posiert der Beginn und sorgfältig geht’s weiter bis zum 2. Satz. Am Anfang passiert etwas, da gibt es plötzlich Stimmungen und inspirierende Inspiration. Aber das, was da passiert, ist mit den ganz ruhigen und leisen Stellen verhaftet. Ansonsten fließt die Musik banal weiter.
Der 3. Satz wirkt recht kontrolliert, das Finale hat eine beschwingte Energie.
Die Siebte beginnt auch recht kräftig, aber immer noch sehr kontrolliert. Der Funke springt nicht über bis zum 2. Satz, den der Kanadier recht inspiriert und gefühlvoll dirigiert. Die beiden letzten Sätze werden in schnellem Tempo angenehm tänzerisch. Doch Nézet-Séguin erfindet das Rad nicht neu. Was er macht, haben viele vor ihm auch so gemacht, ob gemäß historischer Aufführungspraxis oder nicht.
Und dann bleibt noch die Neunte. Leider ist im ersten Satz auch immer noch die sehr sorgfältig gestaltende Hand des Dirigenten zu spüren. Der Klang ist sehr transparent und es gibt viel hinten und vorne zu hören, aber die Musik pulsiert nicht wirklich, Nézet-Séguin verpasst es, den ganzen Reichtum, den er hörbar macht, auch bedeutsam und rhetorisch werden zu lassen.
Ein tänzerisch quirliger, sehr farbiger, aber auf Dauer ermüdender zweiter Satz führt zum Adagio, das sehr gefühl- und stimmungsvoll gespielt wird. Das Finale ist wiederum extrem detailreich, aber nichts klingt spontan und frei. Florian Boeschs ‘Freunde nicht diese Töne’ trifft völlig zu. Und der Rest läuft dann heftig und schwerfällig akzentuiert ab.
Diesen vorbereitet aufgesagten, überkontrollierten, nur ganz selten freien und spontanen Beethoven braucht niemand. Welche eine Verschwendung!
« Our interpretation should create the sensation in the audience that they are hearing the music for the first time. That’s my goal. » Wow, that’s a goal! I had spotted the phrase in the press release when I had just listened to Symphonies Nos. 1 and 3, which are included on the first of the 5 CDs. Well, I immediately recognized the two works and really can’t say I discovered much new in them. Now and then an unusual accentuation, here or there a new color.
There is nothing worth noting in the Third. Nézet-Séguin takes the Funeral March thoughtfully and emotionally, but this is as little new as the momentum of the last two movements. Admittedly, the playing is technically of a high standard, and the sound recording is good, somewhat dense but spacious and transparent.
By the way, for this production, the orchestra uses the recently completed New Complete Edition of the composer’s works, of which this is the first complete recording of the symphonies.
The second CD opens with the Sixth, the Pastoral. Again, there is nothing new under Sun, as the way Nézet-Séguin conducts the symphony has been done countless times by others. I even have the impression that he conducts particularly carefully, well prepared and à la lettre, not really spontaneous and inspired. Perhaps most striking is a particularly colorful and dance-like third movement, certainly the most interesting part of the symphony.
After that, Nézet-Séguin conducts an urgent and impulsive first movement of the Eighth, whereas the middle movements sound rather banal. He conducts the final movement quite humorously.
On the third CD follows perhaps the best recording, a truly inspired Second Symphony, as one has heard many times before, but this one really has something….
For the Fifth, it is again true that Nézet-Séguin has nothing new to say. His conducting is sportive and vital, in the first movement with a fast tempo, otherwise finely differentiating, but there are many much more exciting recordings of this symphony. The last movement in particular sounds more like compulsory work than truly fiery music-making.
On CD No. 4, the Fourth Symphony comes first. The beginning is as careful and controlled as the rest. In the 2nd movement something happens at the beginning, suddenly moods and inspiring inspiration catch our ear. But this impression is limited to the very calm and quiet passages. Otherwise, the music flows on banally. The 3rd movement seems quite controlled, and the finale has a buoyant energy.
The Seventh begins quite strongly, but still very controlled. The spark doesn’t jump until the 2nd movement, where the music becomes quite inspired and soulful. The last two movements become pleasantly dance-like at a fast tempo. But Nézet-Séguin does not reinvent the wheel. What he does has been done by many before him, whether according to historical performance practice or not.
And then there remains the Ninth. Unfortunately, the conductor’s carefully shaping hand can still be strongly felt in the first movement. The sound is very transparent and there is plenty to hear back and front, but the music doesn’t really pulsate; Nézet-Séguin fails to allow all the richness he makes audible to become meaningful and rhetorical as well.
A dance-like, lively second movement, very colorful but tiring in the long run, leads to the Adagio, played with great feeling and atmosphere. The finale is again extremely detailed, but nothing sounds spontaneous or free. Florian Boesch’s ‘Freunde nicht diese Töne’ is completely true. And then the rest is heavy and pathetic.
Nobody will need this well prepared, over-controlled, only very rarely free and spontaneous Beethoven. What a waste!