Fantasque; Gabriel Fauré Violinsonate Nr. 1 A-Dur op. 13; Claude Debussy: Violinsonate g-Moll; Maurice Ravel Violinsonate Nr. 2 G-Dur; Francis Poulenc: Violinsonate; Franziska Pietsch, Violine, Josu de Solaun, Klavier; 1 CD Audite 97751; Aufnahme 10/2019, Veröffentlichung Digital & UK 08.5.2020, D 05/06/2020 (79'55) -Rezension von Remy Franck
Fauré hat den ersten Satz seiner Violinsonate mit Allegro molto überschrieben. Und so spielen ihn die meisten Geiger, darunter Francescatti, Heifetz, Grumiaux, Amoyal…Sie brauchen für den Satz zwischen siebeneinhalb und etwas über neun Minuten. Das Duo Pietsch Solaun nimmt sich dafür 10 Minuten und 27 Sekunden. Und das bringt ungemein viel. Aus dem oft bloß flüssig gespielten Stück wird eine eminent bedeutsame Musik, ein leidenschaftlicher Dialog zwischen Klavier und der Violine, die sich wie eine Katze um das große Schwarze dreht, mal anschmiegsam, mal Köpfchen gebend oder den Hintern hochhebend, um sich dann auch g’schamig unter dem Klavier zu verstecken. Es sind großartige Stimmungen, die diese Musik so reich werden lassen, wie ich sie noch nie gehört habe. Wunderbar lyrisch und ausdrucksvoll ist das Andante, hinreißend verspielt und keck das Allegro vivo mit seinem reflektiven Mittelteil, der die Energie speichert für die brillante Coda. Eine leidenschaftlich eloquente Interpretation des Schlusssatzes beendet diese Aufführung, die in der Erzählkunst weit über die gelackten Darbietungen anderer Duos hinausgeht.
Und wenn Debussy den zweiten Satz seiner Sonate mit Fantasque überschrieben hat (er gab der CD ihren Titel) dann spüren Pietsch und Solaun dem Fantastischen schon ganz klar im ersten Satz nach. Wo andere Geiger, Oistrach etwa, der Sonate einen eher mysteriösen Touch geben, gehen die beiden hier vereinten Musiker voll zu Sache und ergründen die merkwürdige Unruhe dieses Satzes, den sie genauso fantasque gestalten wie den Rest dieser seltsamen Sonate, die in vielen Interpretation klassischen Bahnen folgt, wo alles seinen Platz hat, während hier mit ganz eigenwilligen Temporückungen und Akzentuierungen die Sonate die Qualität einer Paraphrasierung des Fragezeichens und des Gedankenstrichs erlangt, wobei das Ausrufezeichen einen schweren Stand hat.
Die G-Dur-Sonate von Ravel wird nicht weniger eloquent gespielt, das oft Draufgängerische des einleitenden Allegrettos weicht einem sehr sinnlichen Musizieren, das mit seiner artistischen Klugheit und Kühnheit bezaubert. Und wenn Sie den Blues einmal als Parodie hören wollen, dann diese CD die richtige Adresse. So schräg!
Die fesselnde Spontaneität, die die ersten zwei Sätze auszeichnet, gilt auch als Merkmal des Finalsatzes, dessen musikalische Intensität berauschend ist.
Mit der Poulenc-Sonate beschließen Franziska Pietsch und Josu de Solaun ihr Programm. Im Vergleich zu der Kopatchinskaja-Leschenko-Einspielung wirkt die Interpretation des ersten Satzes nicht so einspurig drängend, sondern viel variabler. Es ist keine Autobahnfahrt auf der Überholspur, sondern eine Fahrt über eine unebene Landstraße. Wenn der Pianist mit glöckchenähnlichen Klängen das Intermezzo einläutet, weiß man schon, dass auch dieser Satz sehr besonders werden wird. Und im Finale überbietet das Duo wiederum die beiden vorhin genannten Musikerinnen, weil die Tragikomödie genüsslich sarkastisch zum Ausdruck kommt. Die Freiheit ist groß hier, die groteske Gestik noch reicher. Fantasque. Der Titel der CD ist mehr als Programm. Er ist Grundlage der Interpretation aller Stücke.
Ich habe vorhin das Wort ‘Kühnheit’ gebraucht. In der Tat sind die vier Sonaten hier in ganz speziellen Interpretationen zu hören. Es wird Leute geben, die das nicht mögen, die lieber beim Glatten bleiben. Solche Musikphilister werden durch diese unerhört geistreichen Interpretationen erschreckt werden. Wer sich aber auf die Musik einlässt, wird von dem Fantastischen, das Frau Pietsch und Herr de Solaun produzieren, begeistert sein.
The first movement of Fauré’s Violin Sonata is an Allegro molto, and that’s like we mostly hear it. Francescatti, Heifetz, Grumiaux and Amoyal play it in between seven and a half and just over nine minutes. With 10 minutes and 27 seconds the duo Pietsch-Solaun is slower. And that’s really rewarding. The piece is no longer simply fluid, but turns into an eminently significant music, a passionate dialogue between the piano and the violin, which turns around the big black one like a cat, sometimes cuddly, sometimes giving head or lifting its butt, only to then also hide shamefully under the piano. Great moods make this music as rich as I have never heard it before. The Andante is wonderfully lyrical and expressive, followed by a ravishingly playful and bold Allegro vivo with its reflective middle section, which stores the energy for the brilliant coda. A passionately eloquent interpretation of the final movement concludes this performance, which in its narrative artistry goes far beyond the lacquered recordings of other duos.
Debussy called the second movement of his sonata Fantasque (it gave the CD its title), yet Pietsch and Solaun already trace the fantastic element in the first movement. Where other violinists, Oistrakh for instance, give the sonata a rather mysterious touch, the two musicians focus on the movement’s restlessness, which they make just as fantasque as the rest of this strange sonata, which in many interpretations follows classical paths, where everything has its place, while here, with quite idiosyncratic tempo shifts and accentuations, it becomes a paraphrase of the question mark and the dash, whereby the exclamation mark has a hard time.
Ravel’s Sonata in G major is played no less eloquently, the often urgent of the introductory Allegretto giving way to a very sensual music-making that enchants with its artistic cleverness and audacity. And if you ever want to hear the blues as a delightful parody, this CD is the right address. So weird!
The captivating spontaneity that distinguishes the first two movements is also a characteristic of the final movement, whose musical intensity is intoxicating.
Franziska Pietsch and Josu de Solaun conclude their programme with the Poulenc Sonata. In comparison to the Kopatchinskaja-Leschenko recording, the interpretation of the first movement does not seem simply urgent, but much more flexible. It is not a motorway journey in the fast lane, but a ride on an uneven country road. When the pianist introduces the intermezzo with bell-like sounds, one already knows that this movement will also be very special. And in the finale, the duo again outdoes the two musicians mentioned earlier, because the tragicomedy is expressed with so much sarcasm. The freedom is great here, and the grotesque richer. Fantasque. The title of the CD is more than a programme. It is the basis for the interpretation of all pieces.
Earlier I used the word ‘audacity’. No doubt that there will be people who don’t like such very special interpretations, preferring straight and simple performances with just French refinement. Such music philistines will of course be frightened by these incredibly witty interpretations. But those who get involved with the music will be thrilled by the Fantasque that Mrs Pietsch and Mr de Solaun constantly focus on.