Der österreichische Komponist und Musiktheoretiker Heinrich Schenker (1868-1935), der Harmonielehre bei Anton Bruckner studierte, starb, ehe ihm die Nazis physisches Leid antun konnten. Doch die Werke des jüdischen Musikers waren bis 1945 verfemt und schafften es später nicht mehr, aus der Versenkung herauszukommen. Und wenn, dann wurden eher seine musiktheoretischen Schriften bekannt als seine allerdings auch recht wenigen Kompositionen. Davon hat der Pianist und Dirigent Dirk Joeres deren jetzt einige aufgenommen.
Johannes Brahms soll die Werke Schenkers geschätzt haben. Aber das wäre kein hinreichender Grund, die Gegenüberstellung des unbekannten Schenker mit dem Giganten Brahms vorzunehmen. Dirk Joeres findet vielmehr, dass die Kompositionen, rein musikalisch gesehen, sehr gut zueinander passen, und damit hat er zweifellos Recht.
Mit Schenker kam Joeres bereits in seiner Schulzeit in Berührung, weil einer seiner Lehrer ein Schüler des Österreichers war. Dennoch ist es für Joeres ganz klar, dass die Bedeutung Schenkers nicht im Kompositorischen liegt, sondern eben im Musiktheoretischen: » Er entwickelte eine Methode, die versucht, in tonaler Musik den Verlauf einer Komposition dadurch zu verdeutlichen, dass man Ebenen vereinfacht und hierarchisch ordnet. Er nannte sie Reduktionsanalyse », erklärt Joeres. Dennoch dürfe man nicht annehmen, « die Klavierwerke und Lieder, die Schenker komponierte, seien nur eine Art Anschauungsmaterial. » Das beweist der Pianist mit seinen sehr einfühlsamen Interpretationen, in denen er den im Kleinen kondensierten Ausdrucksreichtum der Partituren wirkungsvoll hörbar macht.
Dass Dirk Joeres, von Haus aus ja Pianist, aber in den letzten Jahren hauptsächlich als Dirigent aktiv, nach wie vor ein hervorragender Interpret am Klavier ist, zeigt er auch in den Stücken von Johannes Brahms. Das Klavierspiel sei nach wie vor wichtig, auch für den Dirigenten, um über Musik nachzudenken, sagt Joeres, und die Erkenntnisse dieses Nachdenkens kommen gerade bei Brahms wunderbar zum Tragen, weil er die verschlungenen Wege des Melos bei diesem Komponisten immer freilegt, und die Bewegung des Lyrischen wie des Dramatischen dabei nie ins Stocken gerät.
Und am Ende hat der Hörer den Eindruck, mit Schenker und Brahms zwei Gleichgesinnten begegnet zu sein, deren Werke zusammen ein sehr schönes, abgerundetes Programm ergeben, das auch etwas Nostalgisches hat, sich in seinem Ganzen und in seiner tiefen Nachdenklichkeit gegen unsere Zeit stellt. Das macht die kleine Silberscheibe letztlich so kostbar und medizinal.
By combining unknown works by Heinrich Schenker and those, very known by Johannes Brahms, Dirk Joeres sets up a program which has quite a nostalgic and thoughtful touch, in an way it’s an antidote to the speediness our time suffers from. A beautiful CD it is!