Der Pianist Nuron Mukumi hat vor kurzem in Kyjiv ein Konzert mit dem Nationalen Sinfonieorchester der Ukraine gegeben. Im folgenden Interview schildert er seine Eindrücke für Pizzicato.
Nuron Mukumi, Sie haben in der Nationalen Philharmonie in Kyjiv mit dem Nationalen Sinfonieorchester der Ukraine das 5. Klavierkonzert von Beethoven aufgeführt. Wie liefen Ihr Aufenthalt in der ukrainischen Hauptstadt und das Konzert?
In musikalischer Hinsicht war es eine sehr gute Zeit. Ich habe an zwei Tagen Meisterkurse für Musikstudenten im Alter von 13 bis 25 Jahren gegeben. Mein Opa hat sehr lieb finanziert, dass ich einen ganzen Koffer voller neuer Musiknoten für die Studenten mitbringen konnte. Ich habe noch nie gesehen, dass Musiknoten Studenten so zum Strahlen bringen.
Ganz anders als auf Tourneen, wo man einmal kurz vor dem Konzert probt, hatte ich dieses Mal ein paar gute Proben mit dem Orchester, also viel Zeit für Musik, und das Konzert ist gut gelaufen.
Alles anderes außerhalb der Arbeit war schockierend. Wenn ich an diese Woche, an meine Zeit in Kyjiv zurückdenke, fühle ich mich erschüttert und tieftraurig.
Was heißt das konkret?
Die Reise nach Kyjiv dauerte mit dem Zug zwei Tage. Mit wenig Schlaf kam ich in Kyjiv an, wurde aber ganz herzlich abgeholt und versorgt. Gleich in der ersten Nacht heulten die Sirenen um 04:57, eine Minute später hörte ich 6-7 Explosionen und dann folgte eine Explosion von einer solchen Lautstärke, wie ich sie in meinem Leben noch nie gehört habe. Am nächsten Tag sagten meine Freunde, und ich habe es in den Nachrichten gelesen, dass die Explosionen vom Luftabwehrsystem stammten, das versuchte, die Kampfdrohnen abzufangen – und dass die große Explosion von einer ballistischen Rakete kam, die von der Luftabwehr nicht abgewehrt werden konnte. Ein Mensch wurde getötet und einige wurden verletzt.
Dann habe ich den ganzen Tag unterrichtet und obwohl ich Schlafmangel hatte, hat die Arbeit mir geholfen, mich zu konzentrieren und die Sorgen und Nerven in den Hintergrund zu rücken. Die Meisterkurse wurden von der Stiftung Vere Music Fund organisiert!
Nach der ersten Nacht war ich dann bei jeder Sirene nervös, und wir hatten viele Sirenen. Am Konzerttag heulten die Sirenen vier Mal, das letzte Mal während der Generalprobe, die wir dann abbrechen mussten, und alle haben im Keller gewartet, bis es eine Entwarnung gab. Zum Glück heulten die Sirenen während des Konzertes nicht.
Das war also ein ganz schlimmes Erlebnis?
Was ich in diesen fünf Tagen dort erlebt habe, wünsche ich niemanden, und ich bin fassungslos, dass meine Freunde, Kollegen und natürlich alle Ukrainer dies seit über drei Jahren erleben. Schon eine einzige ballistische Rakete zerreißt einem die Nerven – und wenn man auf der Straße ist, ist man ständig leicht angespannt, immer mit dem Gedanken: Was mache ich, wenn die Sirenen losgehen? Wo ist der nächste Bunker? Diese Gefühle, diese Sorgen und diese Anspannung habe ich erst wirklich kennengelernt, als ich selbst dort war.
Die Ankunft in Deutschland, ja sogar schon das Überqueren der Grenze nach Polen, war eine große Erleichterung.
Welchen Stellenwert hat denn die Musik noch in Kyjiv?
Die Bedeutung von Kultur in Kyjiv ist (wahrscheinlich seit dem Krieg) auf einem ganz anderen Niveau – und ich denke, das liegt daran, dass die Menschen wissen, wie wichtig Kultur für die Erholung, zum Abschalten von der grausamen Realität ist, selbst wenn es nur für ein oder zwei Stunden ist. Aber es geht auch um Identität, Menschlichkeit und Widerstandskraft. Und genau das ist mir so wichtig, gemeinsam mit meinen Kollegen im Orchester diese Werte zu unterstützen.
Das Orchester und ich planen jetzt schon mein nächstes Konzert in Kyjiv, wahrscheinlich mit dem 1. Klavierkonzert von Brahms und ich werde dann wieder ein paar Tage dort unterrichten. Ein Datum steht noch nicht fest.
Link von einem Interview von Nuron Mukumi in Kyjiv: https://censor.net/en/resonance/3545896/german-pianist-nuron-mukumi-to-perform-in-kyiv