Nach Gergievs grottenschlechtem ‘Nussknacker’ zeigt der Klangmagier Dimitrij Kitajenko, was alles in Tchaikovskys Ballettpartitur passiert, wie die Musik auf diversen Ebenen frisch plätschert, agile Kapriolen schlägt, ihre tänzerische Funktion wahrnimmt oder lyrisch aufrauscht, kurz, all das, was in Gergievs routiniertem Abspulen in Gleichförmigkeit unterging.
Mit Akzenten, Rubato, feinstgesteuerten Crescendi und einem Arsenal an Farben kommt Leben und Bedeutung in die Musik, deren Fluss immer natürlich bleibt, immer natürlich schwingt. In diesem 3-D-Musizieren hat das Ohr vollauf zu tun, um alles zu erfassen, was im wunderbar transparenten Orchesterklang passiert. Oh, gewiss, Kitajenko greift hier mehr als einmal in die Partitur ein, um den Klang klarer werden zu lassen, und er tut das so liebevoll, dass geringfügige Schwächen im Notentext überwunden werden, jedes Gebilde durchsichtig wird und seine organischen Teile im Widerspiel der Kräfte spannend werden.
Kitajenko musiziert mit stupender Feinfühligkeit und einer wohl ausgewogenen Diskretion des Ausdrucks, die letztlich das Expressive vollends auskostet, optimiert und verschönert. Solche geheimen Kunstgriffe kennen die meisten jüngeren Dirigenten ja gar nicht mehr, weil sie glauben, nur mit voller Kraft und Tempo Ausdruck erzielen zu können….
Und so haben wir es denn hier mit einer wunderbar klug disponierten Interpretation zu tun, die im Zweiten Bild des 1. Aufzugs, am Anfang des 2. Akts und am Schluss auch die Opulenz erreicht, die die Musik verlangt. Das ‘Divertissement’ kommt als eine faszinierend suggestive Mischung aus Märchenwelt und Magie daher.
Das wie immer exzellente Gürzenich Orchester reagiert mit größter Genauigkeit auf Kitajenkos Dirigat, spielt farbig und federnd, der Diversität der Tänze ganz toll Rechnung tragend. Den bei Gergiev so verwelkten ‘Blumenwalzer’ steigert Kitajenko auf allen Ebenen zu einem Farbenmeer, das sein visuelles Pendant nur beim Tulpenfestival von Amsterdam oder auf der Blumeninsel Mainau findet.
Nach dieser berauschenden Aufführung des ‘Nussknacker’-Balletts folgt sinnigerweise Stravinskys Divertimento aus ‘Der Kuss der Fee’. Gleich zu Beginn fällt der weit aufgefächerte und doch so wunderbar homogene Orchesterklang auf, der Stravinskys überlegenes Können zeigt. Rhythmisch keck, klangschwelgerisch, dieses Divertimento ist ein Genuss von der ersten bis zur letzten Minute.