Ein Interview von Alain Steffen
Maestro, in Finnland gibt es – im Vergleich zu anderen, größeren Ländern – eine erstaunliche Anzahl an hochkarätigen Musikern. Wie ist das zu erklären?
Musik war seit jeher etwas ganz Besonderes für die Finnen und hat dort auch eine enorme Bedeutung. Wahrscheinlich weil wir ein noch junges und auch kleines Land sind und daher beweisen müssen, dass wir mit den Großen mithalten können. Und das haben wir geschafft! Sibelius hat uns den Weg geebnet und gezeigt, in welche Richtung wir gehen können. Durch die Musik haben wir heute unseren festen Platz in der Welt gefunden.
Viele finnische Dirigenten wie Sie selbst, Salonen, Saraste, Oramo und viele andere haben an der Sibelius Akademie in Helsinki studiert und wurden von Jorma Panula unterrichtet, der anscheinend Garant für eine internationale Karriere ist.
Das kann ich schwer beurteilen. Ich glaube nicht, dass ein Lehrer für die internationale Karriere eines Dirigenten verantwortlich ist. Wohl aber für die Basis und das Handwerk. Was der Dirigent nun damit anfängt, hängt ganz alleine von ihm ab.
Die meisten finnischen Dirigenten sind sehr vielseitige Künstler. Sie sind Klarinettist und Dirigent, Esa-Pekka Salonen ist Dirigent und Komponist, Sakari Oramo wiederum ist Dirigent und Violinist. Diese Vielseitigkeit schient etwas ganz Natürliches in Finnland zu sein.
Das ist eine sehr interessante und auch richtige Feststellung. In der Tat haben die meisten finnischen Dirigenten in einem Orchester gespielt. Finnische Dirigenten sind demnach sehr eng mit dem Orchester verwachsen, da sie selber aus seinen Reihen stammen. Wir wissen, wie ein Orchester funktioniert, wir haben alle diese praktischen Erfahrungen, die vielen anderen Dirigenten fehlen. Und ich glaube, diese Vielseitigkeit und dieses Gefühl für das Orchester sind auch einer der Schlüssel zu unserem Erfolg. Wir haben alle gelernt, wirklich praktische Dirigenten im eigentlichen Sinne zu sein, Dirigenten, die neben ihrer Schlagtechnik auch ein richtiges Handwerk beherrschen. Unsere Schule war das Orchester.
Finnland ist auch sehr produktiv im Bereich der zeitgenössischen Musik, ja besitzt sogar eine Vorreiterstellung. Wie kann man sich diese Entwicklung erklären?
Ich glaube, das hat wiederum mit der großen Bedeutung der Musik für und in Finnland zu tun. Alles geht auf Sibelius zurück. Er hat einen Weg eingeschlagen, der für unsere Kultur sehr natürlich war und der letztendlich unsere Kultur auch sehr stark geprägt hat. Und diesen Weg der Natürlichkeit gingen die Komponisten nach Sibelius und gehen die Komponisten von heute konsequent weiter. Überhaupt ist es die Natürlichkeit, die Ungezwungenheit der Finnen in ihrer Beziehung zur Musik, die diese Entwicklung prägen.
Welche Bedeutung hat die Musik von Sibelius für Sie persönlich?
Für mich und, ich glaube, für alle finnischen Dirigenten ist Sibelius eine Herzensangelegenheit. Er gehört einfach zu unserem musikalischen Gepäck, zu unserem kulturellen Erbe. Seine Musik kennt man in der ganzen Welt und für uns ist das natürlich eine fantastische Gelegenheit, wenn wir als Gastdirigenten unseren Sibelius mit einem anderen Orchester einproben und spielen dürfen. Sibelius ist wie eine Visitenkarte, er macht uns das Tor zur musikalischen Welt auf. Ohne Sibelius, da bin ich mir sicher, gäbe es nicht so viele finnische Dirigenten.
Die Musik von Sibelius wird oft mit großen romantischen Gesten und breiten Tempi gespielt, obwohl eine Symphonie wie die Vierte ungeheuer modern ist. Von welchem Interpretationskonzept gehen Sie aus?
Ich gebe mir große Mühe, eingefahrene Traditionen und vom jeweiligen Zeitgeist diktierte Interpretationsansätze zu vermeiden. Für mich stehen die Partitur und somit die Wünsche des Komponisten an allererster Stelle. Und wenn man sich den Noten des Komponisten anvertraut und sich von ihnen leiten lässt, dann ist es am Ende egal, ob man die Musik von Sibelius, Beethoven, Berlioz oder Bernstein dirigiert.
Sie haben jetzt Ludwig van Beethoven erwähnt. Welche Bedeutung hat gerade die Musik von Beethoven für die Menschen des 21. Jahrhunderts?
Ich denke, Beethoven ist der wichtigste Komponist im Bereich des orchestralen Repertoires. Seine Botschaft ist so stark, so wichtig, so unmissverständlich, dass sie heute genau die gleiche Kraft besitzt wie damals. Es ist schon erstaunlich, dass die Faszination, die von seinen Symphonien ausgeht, in all den Jahren ungebrochen war. Im Gegensatz zu der Musik anderer Komponisten! Beethoven war immer da und solange es die klassische Musik geben wird, so lange wird es auch die Musik von Beethoven geben.
Können Sie beschreiben, was für Sie eine wirklich perfekte Aufführung ist?
Im Prinzip gibt es zwei Ebenen, auf denen wir arbeiten. Zu allererst muss die praktische und spieltechnische Seite hundertprozentig klappen. Das Orchester muss wie eine geölte Maschinerie laufen und sich sicher im Umgang mit der Musik sein. Erst dann kann man tiefer eintauchen und sich mit der Botschaft des Komponisten beschäftigen und sich am Musikmachen erfreuen. Sie können sich auch nicht wirklich am Schwimmen erfreuen, wenn Sie die Technik nicht beherrschen. Erst wenn alles zusammenkommt, und dabei sind Spieltechnik und Botschaft nur die wichtigsten Elemente, erst dann kann man ein perfektes Konzert spielen.