In Baden-Baden haben die Osterfestspiele mit Puccinis ‘Tosca’ begonnen, Alain Steffen berichtet.
Buhrufe für das Regieteam, lautstarker Beifall für die Sänger und Jubel für Sir Simon Rattle und seine Berliner. Das ist die Bilanz der Premierenvorstellung von Puccinis Oper ‘Tosca’ bei den diesjährigen Osterfestspielen in Baden-Baden. Der Fluch, der auf Puccinis ‘Tosca’ liegt, besteht wohl darin, dass diese Oper regelmäßig auf dem Spielplan jeden Opernhauses steht und, dass wohl kein Regisseur, der etwas auf sich hält, daran vorbeikommt. Und dann hier noch etwas Neues, Aufregendes oder Interessantes anzubieten, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Und an der ‘Tosca’ scheitert auch der Regisseur Philipp Himmelmann, dessen Inszenierung doch relativ hanebüchen daherkommt und die versucht, inhaltliche Schwächen durch technischen Schnickschnack zu vertuschen. So kommt auch diese Inszenierung nicht an den heute zum Standard gehörenden Videoeinspielungen (Martin Eidenbecker) vorbei, die allerdings hier nur illustrieren und kaum einen dramatischen Wert besitzen, es sei denn, von der plumpen Personenregie abzulenken.
Der erste Akt wirkt in dieser Hinsicht mit seinem unsinnigen Hin- und Herlaufen, seinen theatralischen Gesten, ja, seinem Rampentheater, sogar peinlich. Himmelmanns drei Figuren Tosca, Cavaradossi und Scarpia wirken insgesamt verloren und können kaum nachvollziehbare Beziehungen zu einander aufbauen, selbst wenn der Regisseur versucht, den politischen Inhalt stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Wohl selten hat man gerade den zweiten Akt so phantasielos und spannungsarm erlebt wie hier. Das mag aber auch an der Besetzung des Scarpia durch Evgeny Nikitin gelegen haben, der einen gesanglich schönen, zum Teil sogar sehr lyrischen Scarpia singt, dem es dadurch aber an stimmlicher Bösartigkeit und Dämonie fehlt. Darstellerisch wirkt er wie vom Regisseur in ein Korsett geschnürt, genauso wie Kristine Opolais als Tosca, die sich hölzern und steif durch diese Produktion hindurchquält. Glaubwürdigkeit sieht anders auch. Stimmlich kann Frau Opolais dagegen überzeugen, wenngleich ihr auch manchmal Wärme und Leidenschaft in den Duetten fehlen. Ihre schöne Stimme und die perfekte Phrasierung, ihr angenehmes Timbre und ihr technisch makelloser Gesang lassen uns aber noch Vieles von dieser wunderbaren Sängerin erwarten. Und die hat sicherlich das Zeug hat, einmal eine große Tosca zu werden!
Der Einzige, der sich in dieser Produktion pudelwohl zu fühlen scheint und glaubhaft agiert ist Marcelo Alvarez als Cavaradossi, der jede Schattierung, jede Stimmungslage seiner Figur glaubhaft auszuleuchten und dazustellen vermag und dabei noch mit einem phantastischen Gesang zu begeistern weiß. Mit diesen drei hochkarätigen Sängern, die ebenfalls dafür bekannt sind, dass sie gute Darsteller sind, hätte Philipp Himmelmann die Möglichkeit gehabt, wirkliches Musiktheater zu machen. Doch leider wird vieles in dieser Inszenierung einfach verschenkt und denkt man sich die Kulissen und das Bühnenbild weg, dann bleibt nur eine standardisierte Personenführung übrig, wie man sie auf jeder guten Provinzbühne erleben kann. Das Bühnenbild (gut im ersten, vielversprechend im zweiten, enttäuschend im dritten Akt) stammte von Raimund Bauer, die stimmigen Kostüme von Kathi Maurer.
Die Nebenrollen waren mit Peter Rose (Mesner), Alexander Tsynbalyuk (Angelotti) und Walter Fink (Wärter) exzellent besetzt, während Peter Tantsits und Douglas Williams als Spoletta resp. Sciarrone eher blass blieben.
Die Stars der Aufführung aber waren Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker, die in jedem Moment zeigten, dass die vierte Hauptrolle in der Tosca das Orchester ist. Rattle dirigierte äußerst spannungsgeladen, konnte aber Nikitin (wie beispielsweise im gewaltigen Te Deum am Schluss des 1. Aktes) und Opolais (in den Duetten mit Alvarez) leider nicht immer aus der Reserve locken. Zudem hatte sein enorm subtiles und sängerfreundliches Dirigat den Vorteil, dass die Protagonisten sehr gut hörbar bleiben und nie von den mit Furore aufspielenden Berlinern überdeckt wurden. Trotz an sich überdurchschnittlicher gesanglicher Leistungen hat diese Tosca sicherlich noch Luft nach oben. Und wenn man weiß, dass eine Premiere nur ganz selten die beste Aufführung einer Serie ist, dann kann man nur hoffen, dass sich Nikitin und Opolais in den nächsten Vorstellungen endgültig freisingen werden.