Die Berliner Residenz im Rahmen der Osterfestspiele Baden-Baden zog auch dieses Jahr viele Musikfreunde an. Pizzicato-Mitarbeiter besuchte drei Veranstaltungen
Da war zunächst Riccardo Mutis atemberaubendes Verdi-Requiem. Wenn man von einer wirklich perfekten musikalischen Interpretation reden kann, dann trifft das auf dieses Konzert hundertprozentig zu. Mutis Verdienste um Verdi hier zu erläutern, hieße Eulen nach Athen zu tragen, aber was der italienische Maestro an Emotionen, Präzision und Klangschönheit heraufbeschwören konnte, war schon phänomenal. Die Berliner Philharmoniker spielten mit einer atemberaubenden Schönheit und Intensität, während Muti weniger an einer opernhafter Geste wie an klaren Linien, Transparenz und orchestraler Balance interessiert war.
Muti bot somit einen wunderschönen Klangteppich, auf dem sich Solisten und Chor vollends entfalten konnten. Für die beiden Baden-Badener Aufführungen hatte der Dirigent auf den von ihm hochgeschätzten Chor des Bayerischen Rundfunks zurückgegriffen, der alle Erwartungen weit übertraf und mit seiner Gesangskunst faszinierte. Eine solistische und äußerst homogene Traumbesetzung mit Vittoria Yeo, Sopran, Elina Garanca, Mezzosopran, Francesco Meli, Tenor und Ildar Abdrazakov, Bass rundete das Hörvergnügen dann optimal ab.
Der Pianist Lang Lang präsentierte am 21. April im Festspielhaus Baden-Baden. Schon zwei Stunden vor Konzertbeginn gab es eine sehr lange Warteschlange, was eigentlich immer noch schwer zu begreifen ist. Denn es dürfte inzwischen doch wohl jedem Musikkenner bekannt sein, dass Lang Lang nur mit Wasser kocht und seine Interpretationen sich gleichen, wie ein Ei dem anderen, egal, welches Werk er von welchem Komponisten spielt. In diesem Sinne passte das natürlich sehr gut auf Ostern. Lang Langs Osterei war diesmal das 2. Klavierkonzert von Beethoven, das er mit seinem manierierten und selbstgefälligen Spiel natürlich künstlerisch ins Abseits beförderte. Schade, denn der Chinese besitzt eine phänomenale Technik und ein sich quasi auflösendes Pianissimo. Die Berliner Philharmoniker unter der Leitung ihres designierten Chefdirigenten Kirill Petrenko spielten Lang Lang brav nach, ohne selbst irgendeinen Akzent zu setzen. Eine ganz andere Dynamik gab es nach der Pause, als die 5. Symphonie von Piotr Tchaikovsky auf dem Programm stand. Höchste Klangkultur, absolute Präzision und eine unnachahmliche Dynamik machten diese beliebte Symphonie zu einem wirklichen Ereignis, zudem Petrenko eine dem Kitsch abgewandte Lesart bevorzugte und auf klare Linien und einen offenen Klang setzte. Mit einfachen Bewegungen ließ er die Innenspannung quasi aus dem Nichts entstehen und sich entwickeln.
Wie in jedem Jahr, stand auch diesmal mit Verdis Otello wieder eine Oper auf dem Programm der Berliner Konzerte in Baden-Baden. Nachdem man den vorgesehenen Daniele Gatti ausgebootet hatte, stand nun mit Zubin Mehta einer der letzten Grandseigneurs unter den Dirigenten im Orchestergraben. Robert Wilsons Inszenierung im Stile des japanischen Nô-Theaters war gewöhnungsbedürftig. Hatte man sich aber auf die reinen und selbstständigen, eigentlich sinnfreien Bewegungen der Sänger-Darsteller, die bis auf einen Minimum reduzierte Handlung und die wundervollen Lichtspiele eingelassen, konnte man eine wunderbare, andersartige Opernerfahrung machen. Zumal auch Zubin Mehta mit einer sehr kammermusikalischen, feinen und fast gewollt spannungsarmen Interpretation, die genau den Intentionen Wilsons entsprach, durchgehend überzeugen konnte.
Die Berliner Philharmoniker spielten auch an diesem letzten Abend (22. April) mit höchster Konzentration und Klangschönheit, die aus Verdis Otello fast eine gesungene Symphonie machte. Abgesehen von einem schlecht singenden Lodovico (Federico Sacchi) bewegten sich alle Nebenrollen auf einem guten, wenn auch nicht überragenden Niveau, das man sich eigentlich bei einer solch aufwendigen Edel-Produktion hätte erwarten dürfen. Vladimir Stoyanov bot als Jago eine gesangliche Meisterleistung und wagte es, diese Rolle mit sehr viel Belcanto zu singen, was wiederum die Figur somit noch gefährlicher machte. Wundervoll auch die Desdemona von Sonya Yoncheva, die insbesondere im letzten Akt ihre ganze Interpretationskunst zeigen konnte und am Schluss vom Publikum auch mit dem meisten Applaus bedacht wurde. Für den kurzfristig indisponierten Stuart Skelton hatte der amerikanische Tenor Marc Heller die Titelrolle übernommen. Da er sowieso als Cover vorgesehen war, war er mit der komplexen Regie von Wilson bestens vertraut. Heller beeindruckte mit mächtiger Stimme und stählerner Höhe, war aber auch zu sehr feinem Gesang fähig. Nach einem guten ersten Akt und einem kleinen Einbruch im zweiten, konnte sich Heller im dritten und vierten Akt enorm steigern. Großer Jubel für alle Beteiligten insbesondere für Sonya Yoncheva und Maestro Zubin Mehta.