Was verbindet Mozarts revolutionäres Dissonanzenquartett mit Giuseppe Verdis einzigem Streichquartett oder den Quartetten des Belcanto-Meisters Gaetano Donizetti? Sarah Weilenmann vom Pacific Quartet Vienna gibt Einblicke in ihre neue CD-Einspielung und enthüllt, wie Opernkomponisten die dramatische Kraft ihrer Bühnenwerke auf die intime Welt des Streichquartetts übertragen haben. Ein Gespräch mit Sarah Weilenmann, der Cellistin des Pacific Quartet Vienna über musikalische Rhetorik, kulturelle Vielfalt im Ensemble und das Streichquartett als Verkörperung aufklärerischer Ideale. Das Interview führte Stefan Pieper 

Pacific Quartet Vienna

Wie kam es zur aktuellen CD-Produktion und dem besonderen thematischen Fokus auf Streichquartette von Opernkomponisten?
Wir wollten unbedingt Verdis Streichquartett aufnehmen. Es wird eher selten gespielt, ist aber ein ganz besonderes Werk. Parallel dazu hatten wir schon lange vor, Mozart aufzunehmen. In seiner Kammermusik erleben wir ihn wirklich als großen Opernkomponisten – in jedem Satz spürt man die szenische Darstellung. Diese Verbindung zwischen beiden Komponisten war schnell klar. Etwas länger hat es gedauert, bis wir uns für Donizettis Quartett Nr. 17 als drittes Werk entschieden haben. Das haben wir extra für diese CD einstudiert, während Mozart und Verdi bereits zu unserem Repertoire gehörten.

Mozarts Dissonanzenquartett hat einen sehr experimentellen Beginn. Wie ordnen Sie diese Komposition musikhistorisch ein?
Mozart war mit diesem Werk wirklich revolutionär. Man hat ihn damals dafür kritisiert und ihm sogar vorgeworfen, er könne nicht komponieren – nur weil er sich in der Einleitung so weit vorgewagt hatte. In den ersten Takten taucht der C-Dur-Akkord nur ein einziges Mal auf, und zwar auf einer Achtelnote. Alles andere bewegt sich in der Chromatik. Das war für diese Zeit absolut außergewöhnlich – niemand sonst schrieb damals solche Akkordkombinationen in dieser Dimension. Natürlich findet man auch bei Haydn experimentelle Momente, aber auf andere Art: weniger in der Chromatik, mehr im Spiel mit Fragmenten, Abbrüchen und kurzen Figuren.

Das Pacific Quartet Vienna hat eine lange Geschichte. Wie würden Sie Ihre künstlerische Entwicklung beschreiben?
Das Quartett wurde vor mehr als 15 Jahren von Yuta Takase gegründet, ursprünglich mit vier Musikern aus dem pazifischen Raum – aus Japan, China, Russland und Taiwan. Die erste Besetzung änderte sich dann recht schnell. Unser zweiter Geiger Simon Wiener ist erst seit zwei Jahren dabei, ansonsten ist unsere Besetzung konstant geblieben.
Unsere Grundphilosophie ist unverändert: Wir wollen wirklich in die Tiefe eines Werkes vordringen und die musikalische Sprache jedes Komponisten in ihrer absoluten Eigenheit verstehen. In den ersten Jahren haben wir uns intensiv mit der Wiener Klassik beschäftigt, besonders mit Haydn und Mozart. Die Zusammenarbeit mit Johannes Meissl und Hatto Beyerle, später dann mit Rainer Schmidt, hat uns stark geprägt. Wir haben uns mit der Rhetorik in der Musik, der ihr innewohnenden Sprache und dem philosophischen Gedanken der Aufklärung auseinandergesetzt. Was sich weiterentwickelt hat, ist unsere Neugier für zeitgenössische Musik. Wir spielen schon immer viel asiatische zeitgenössische Musik, da wir regelmäßig in Asien auf Tournee sind. In den letzten Jahren reizt es uns zunehmend, mit Komponisten zusammenzuarbeiten und Programme zu gestalten, bei denen nicht nur Musik im Zentrum steht – zum Beispiel Projekte für Museen, wo verschiedene Künste ineinandergreifen.

Welche Rolle spielt der Dialog im Quartett? Ist es manchmal auch anstrengend, auf diesem Niveau zusammenzuarbeiten?
Der Dialog auf Augenhöhe ist uns sehr wichtig. Wir sind kein Ensemble mit Reibereien oder Streitereien. Bei uns geht es um das gemeinsame Suchen – darum, dass jeder seinen Ausdruck finden kann und wir am Ende zu einem gemeinsamen Ausdruck kommen. Das kann durchaus herausfordernd sein. Aber wir haben von Anfang an beschlossen: Wir lassen uns nicht durch äußeren Druck verbiegen, sei es für eine bestimmte Anzahl Konzerte oder eine bestimmte Art von Ausdruck. Wir wollen unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden, auch wenn wir für einen Entwicklungsprozess manchmal mehr Zeit brauchen.
Auf unserem Weg haben wir viele junge Quartette gesehen, die nach wenigen Jahren zerbrochen sind. Oft konnten sie sich nicht die Zeit nehmen, den verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden oder den inneren Dialog zu pflegen. Wir haben immer gesagt: Uns ist mehr Zeit wichtiger, als sich einem Druck zu beugen. Deshalb haben wir, sehr zum Leidwesen unseres früheren Managers, auch nur gezielt an ein, zwei Wettbewerben teilgenommen und nicht an zahllosen. Für uns steht die Philosophie des Inhalts im Vordergrund.

Pacific Quartet Vienna

Wie lief der Aufnahmeprozess für das aktuelle Album ab?
Wir hatten das große Glück, zum zweiten Mal mit dem Aufnahmeteam Thomas Lang und Johannes Meissl arbeiten zu können. Johannes Meissl ist unser langjähriger Mentor aus Wien und selbst Geiger im Artis Quartett. Wir wollten unbedingt wieder mit ihnen arbeiten – zum einen, weil sie die Literatur bis auf den letzten Ton kennen, zum anderen, weil wir die gleiche Philosophie haben.
Wir konnten einen wunderbaren Saal im Burgenland, in Raiding, mieten, wo wir ganz ungestört waren. Mit Johannes Meissl sprachen wir dieselbe musikalische Sprache, und wir konnten dem Team voll vertrauen. Natürlich haben wir anfangs viel in die ersten Aufnahmetakes reingehört, um die gewünschte Klangbalance sicherzustellen. Danach konnten wir hochkonzentriert Werk für Werk arbeiten.
Der Ausdruck stand immer im Vordergrund. Dabei wussten wir: Tonmeister und Tontechniker hören genau, wenn etwas noch nicht sitzt, sodass wir es nochmal aufnehmen können. Für diese CD mit den zwei sehr komplexen Werken – Verdi und Mozart – haben wir uns mehr Zeit genommen als bei früheren Produktionen, etwa einen ganzen Aufnahmetag mehr oder sogar anderthalb. Wir wussten: Das sind wirklich große Werke, die brauchen ihren Raum.

Inwiefern verkörpert das Streichquartett das aufklärerische Ideal?
In der Barockmusik ging es häufig um die Darstellung eines Affekts oder Gemütszustandes. Mit der Aufklärung kam das eigenständige Denken. Der Dialog, den Joseph Haydn im Streichquartett entwickelt hat, ist eines der absoluten Grundelemente dieser Gattung. Es geht darum, dass nun vier gleichberechtigte Instrumente miteinander im Gespräch sind – und dieser Dialog ermöglicht im Sinne der Aufklärung die Vertiefung.
Es geht aber um noch mehr. Die Aufklärung kennt drei Grundbedürfnisse: den Dialog, die Einkehr nach innen und den Tanz. Diese drei Elemente finden sich in der klassischen Satzfolge des Streichquartetts wieder: Der erste Satz steht für den Dialog, der langsame Satz ermöglicht die Einkehr nach innen, und das Menuett entspricht dem Bedürfnis nach Tanz. Der vierte Satz ist dann oft ein Rausschmeißer oder Variationensatz als neues Element – oder er besinnt sich auf barocke Kernelemente wie die Fuge oder den Variationensatz zurück.

Welche Bedeutung hat für Sie persönlich das gemeinsame Musizieren und das Konzerterlebnis?
Das gemeinsame Erleben von Musik im Konzert ist durch nichts zu ersetzen. Den Menschen in diesem Moment ein Stück weit Zuversicht und Glück zu schenken – das klingt vielleicht naiv, aber ein Mensch, der sich wirklich mit Musik auseinandersetzt, kann in diesem Moment nicht « böse wollen ». Dieses gemeinsame Teilen und einen Moment des Glücks zusammen erleben – das wäre das Ziel, das unsere Gesellschaft hoffentlich noch viele Jahre erleben kann.
Das war schon immer der Kern der Musik: das gemeinsame Musizieren und Erleben von Kultur und Ausdruck. Natürlich wurde Musik auch oft als Mittel der Repression genutzt, je nach politischer Situation – sei es im Barock während des Dreißigjährigen Krieges oder später bei Shostakovich. Aber der wahre innere Kern, die Seele der Musik selbst, liegt woanders. Sie verbindet Menschen und schafft gemeinsame Erfahrungen, die uns bereichern.

Wann können wir uns dann auf CD-Präsentationskonzerte mit diesem neuen Programm freuen?
Am Sonntag, 02. März im Rahmen der Zürcher Kammerkonzerte des PQV im großen Konzertsaal Florhof, danach in Wien am 21. März 2025 in Klosterneuburg im Schömer-Haus und außerdem am 18. Mai im Pianosalon Christophori in Berlin.

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