Die Capricen für Violine solo von Niccolo Paganini stellen an den Interpreten höchste Ansprüche – als technische Studien sowie als Vortragswerke; der Komponist, der die 24 Stücke ganz allgemein „den Künstlern“ widmete, hat sie übrigens nie selbst vor Publikum gespielt. Zahlreiche Widmungsträger haben sich bislang zu verschiedenen Interpretationen inspirieren lassen. Auch den jungen Geiger Niklas Liepe faszinieren diese Stücke, was er jedoch nicht dazu nutzte, den zahlreichen Einspielungen nur eine weitere hinzuzufügen.
‘The New Paganini Project’ heißt eine ganz faszinierende Adaptation von Paganinis Opus 1: Gemeinsam mit der Deutschen Radio Philharmonie spielt er unter der Leitung von Gregor Brühl alle 24 Capricen, zieht sie jedoch mit spannenden Arrangements diverser Komponisten ins Hier und Heute. Die Kombination der Solovioline mit dem Klavier nahmen schon klassische Kollegen wie Robert Schumann, Fritz Kreisler oder Jacques Thibaud vor. Doch nun kommt ein ganzes Symphonieorchester dazu. Und manchmal ist mehr eben auch mehr.
Die Idee für seine Debüt-CD als Solist kam vom heute 28-jährigen Liepe selbst: Mit ihr richtete er sich an den Komponisten und bekannten Arrangeur Andreas Tarkmann (*1956) und bat ihn um originelle Neufassungen, um den Stücken jeweils eine ‘orchestrale Perspektive’ zu schenken, wie er es nennt. Eine Monokultur vermeidend schlug Tarkmann vor, die Capricen auch von anderen Kollegen ‘vertonen’ zu lassen. Herausgekommen ist dabei ‘The New Paganini Project’, das die Stücke tatsächlich in ein neues, vielfach schillerndes, zuweilen grelles und vielleicht auch mal blendendes Licht taucht.
Den originalen Notentext spielt Liepe nahezu unverändert und meistert die rasanten Pizzicati, Lagenwechsel, Oktavsprünge, Triller, Doppelgriffe und Arpeggien auf seiner Guiseppe-Guarneri-Violine hochvirtuos und mit unglaublich klarem Ton. Mit den Musikern der Deutschen Radio Philharmonie hat der Geiger hervorragende Partner für sein Projekt gefunden: Als Primus inter pares ist er zwar der Solist, tritt jedoch nie zu beherrschend in den Vordergrund. Man hört die von Tarkmann für Orchester arrangierten ‘Klavierfassungen’, andere lassen ihre Caprice wie eine klassische Filmmusik klingen, wieder andere bewegen sich gänzlich frei: In der von Gérard Tamesit (*1952) arrangierten Nr. 4 baut das Orchester eine bedrohlich-atonale Kulisse auf, durch die Liepe dann die bekannte Melodie Paganinis schraubt. Persönlicher Favorit ist Nr. 5 von Bastian Bund (*1987), die mit ihrem Swing an Leroy Andersons bekannten ‘Typewriter’ erinnert.
Hatte Liepe im Livekonzert zuvor partiell die ‘Originale’ den Adaptionen gegenübergestellt, erklingt nun das gesamte Kompendium. Fast mag man es ein wenig schade finden, dass der Geiger nicht auch hier den ‘stilistischen Doppelgriff’ tätigt – andererseits hört man ja das Original, eben nur in neuem Gewand: wie Nr. 6 als ‘Trance’ von Tobias Rokahr (*1972) über flirrenden Streichern, als keckes Solo vor marschartigen Klängen in Nr. 14 (Tarkmann) oder sprunghaft in der ‘Paganini-Remix’ genannten Nr. 16, arrangiert von Sidney Corbet (*1960). Auf dieser CD gibt es also unheimlich viel zu entdecken – nicht nur mit dem grandiosen Bonus-Track, der von Fazil Say (*1970) als ‘Paganini-Jazz“ bereits 2007 für Soloklavier vertont und von Tarkmann jetzt für Jazz Quartett arrangiert wurde (und in dem unter anderem auch Niklas Liepes Bruder Nils am Klavier zu hören ist).