Über Leben und Werk von Giovanni Paisiello (1740–1816) ist einiges bekannt – sein pädagogisches Œuvre und seine Unterrichtstätigkeit sind hingegen bislang nur teilweise erforscht. Das zu ändern hat sich Nicoleta Paraschivescu vorgenommen. Die aus Rumänien stammende Musikerin, Organistin und Pädagogin ist auch Leiterin des Ensembles ‘La Floridiana’, mit dem sie für Sony zwei CDs mit Ersteinspielungen der Haydn-Schülerin Marianna Martines aufgenommen hat. Darüber hinaus ist sie international in Konzerten, Co-Produktionen und Radio-Mitschnitten zu hören.
Giovanni Paisiello bedient sie nun mit einer CD-Aufnahme mit seinen Partimenti und einem komplementär dazu veröffentlichten Buch.
In diesem Band werden für eine eingehende Untersuchung des pädagogischen Werks Paisiellos die bislang bekannten Quellen – die 1782 in St. Petersburg gedruckten Regole und deren sogenannte autographe Handschrift – um 41 neu entdeckte Partimenti ergänzt.
« Um die oft nur skizzenhaft überlieferte Musik des späten 18. Jahrhunderts aufführen zu können, muss man die musikalische Sprache der Zeit verstehen lernen. Dank ihrer breit gefächerten Möglichkeiten sind die Partimenti hierfür ein effizientes und phantasiereiches Werkzeug », sagt Nicoleta Paraschivescu.
Dadurch werde auch der Blickwinkel auf die pädagogische und künstlerische Bestimmung der Partimenti signifikant erweitert: « Erstmals wird somit der genrespezifische Kontext beleuchtet, in dem Paisiellos Partimenti zu sehen sind. »
Im Zentrum stehen verschiedene Ansätze und Vorschläge zu ihrer Ausführung. Diese ergeben sich durch den Vergleich verschiedener Kompositionen Paisiellos mit denjenigen seines Lehrers Francesco Durante sowie anderer Zeitgenossen. Es wird somit gezeigt, dass durch den modellhaften Einbezug von größeren Formen und komplexen Abläufen das Spektrum von Möglichkeiten bei der Ausführung der Partimenti bedeutend erweitert wird.
Eine Skizze von Paisiellos Leben lenkt den Blick auf zwei Faktoren, die sein pädagogisches Wirken maßgeblich prägten: zum einen auf die Lehrtradition am ‘Conservatorio di Sant’Onofrio’ in Neapel, wo Paisiello seine Ausbildung genoss, zum anderen auf das höfische Umfeld in St. Petersburg, wo er als Maestro di cappella wirkte. Angesichts der sehr bruch-stückhaften Quellenlage zu Paisiellos Unterricht im höfischen und privaten Rahmen erfährt vor allem dessen Beziehung zur Familie Talleyrand Beachtung, die nicht nur durch Briefe und anekdotische Momentaufnahmen, sondern auch durch einen Vermerk in einer der neu entdeckten Handschriften belegt ist.
Im zweiten Kapitel werden die Quellen der pädagogischen Werke Paisiellos einschließlich der neu entdeckten Manuskripte untersucht. Das dritte Kapitel beleuchtet den Unterricht an den Konservatorien in Neapel. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem pädagogischen Werk Francesco Durantes. Das vierte Kapitel setzt sich mit dem Aufbau der Regole auseinander, insbesondere mit dem einleitenden Teil, der die eigentlichen Regeln enthält. Im zweiten Teil werden Korrelationen zwischen Paisiellos Partimenti und den Kompositionen Paisiellos und anderer Komponisten seiner Zeit herausgearbeitet.
Die Autorin schlussfolgert: « Offenkundig lassen sich viele Partimenti hinsichtlich Idiomatik und Anlage bestimmten Gattungen wie Concerto, Aria, Pastorella oder Fuge zuordnen. Dies stützt die Annahme, dass Partimenti auch als Grundlage für ausgearbeitete Kompositionen verwendet wurden. »
Im fünften Kapitel werden historische Ausarbeitungen von Partimenti betrachtet, die als Vorbilder für die Ausführung von Paisiellos Partimenti dienen können. Das sechste Kapitel demonstriert und diskutiert unterschiedliche Lösungsansätze für die Ausführung der Partimenti.
Nicoleta Paraschivescu Schola Die Partimenti Giovanni Paisiellos
Wege zu einem praxisbezogenen Verständnis Cantorum Basiliensis Scripta
Veröffentlichungen der Schola Cantorum Basiliensis – Fachhochschule Nordwestschweiz / Musik-Akademie Basel Hochschule für Alte Musik (SCBS)
Herausgegeben von Thomas Drescher und Martin Kirnbauer
2019; 304 Seiten, 18 Abbildungen, 6 Tabellen, 1 Klapptafel, 109 Notenbeispiele sowie 10 Anhänge mit zusätzlichen Notenbeispielen. Broschiert.
ISBN 978-3-7965-3724-0
Passend zum Buch gibt es eine CD von Deutsche Harmonia Mundi (19075896222), die Giovanni Paisiellos Partimenti zum ersten Mal präsentiert. Außer Werken von Paisiello wurden von Nicoleta Paraschivescu noch weitere Partimenti von Francesco Durante eingespielt, dem Lehrer Paisiellos sowie von Giuseppe Dol. Alle Stücke erscheinen als Welt-Ersteinspielung. Die Interpretationen zeichnen sich durch einen höchst lebendigen und herzhaften und farbigen Vortrag aus, mit virtuosen und sehr kantabel gehaltenen Passagen. Auch die Orgelaufnahmen und die von der Violine (Katharina Heutjer) begleiteten Stücke zeugen von einem beseelten Esprit. Eine Erweiterung des Repertoires also und ein absolutes Must für jeden Liebhaber dieser Musikgattung!