Bach selbst sah seine Matthäus-Passion als sein großartigstes und vollkommenstes Werk an. Seit der denkwürdigen Aufführung unter Felix Mendelssohn im Jahre 1829 zweifeln weder Musikwissenschaftler noch Publikum an dieser Meinung des Komponisten. Gleichzeitig haben nur wenige Musikwerke so viele Auseinandersetzungen, so viele grundlegend gegenübergestellte Theorien entfesselt wie diese Passion.
Sowohl im Konzertsaal als auch auf der Schallplatte gibt es zahllose Interpretationen mit großen und kleinen Ensembles, und wie so oft in solchen Fragen, in denen es maßgeblich um die Besetzung geht, liegt die Wahrheit vielleicht in der Mitte, zwischen den Extremen.
René Jacobs versucht in dieser 2013 erstmals veröffentlichten Version die räumliche Trennung der beiden Chöre so vorzunehmen, um denselben Klangraum zu erhalten, über den Bach selbst verfügte. Er strebt also mehr an als die klassische Austeilung der beiden Chöre, die sich auf einer einzigen Bühne gegenüber gestellt sind, er spielt auch mit der Tiefe des Raums. Selbstverständlich ist diese Entfernung eines Chores im Vergleich zum anderen nicht leicht auf Schallplatte deutlich zu machen. Aber das ist hier vorzüglich gelungen. Entsprechend der Partitur, teilt Jacobs nicht nur Chor, Orchester und Continuo auf, sondern auch die Solisten, und damit innoviert er nun wirklich. Die Anregung zu dieser Trennung geht natürlich vom Text aus, mit dem Picander und Bach eine besondere Ausdruckskraft erzielen wollte.
Und wenn auch alle beteiligten Sänger und Musiker ihr Bestes geben, so ist die Wirkung dieser singulären Interpretation vor allem das Resultat der Arbeit von René Jacobs. Ihm gebührt in diesem Fall die Palme.
Schade, dass die Neuveröffentlichung der Passion nur noch auf CD erfolgt und den Hörer damit um die Wirkung des Surroundklangs bringt. Auch die bei der Erstausgabe beigefügte DVD ist in der neuen Ausgabe nicht mehr enthalten.
Reissue of René Jacobs’s breathtaking version of the St. Matthew Passion in a carefully arranged spatial sound, as it might have been heard at Leipzig’s Thomaskirche, richly ornamented, sensuous and dramatic as well, with a superb ensemble of soloists, choristers and instrumentalists.