Gerade noch im 19. Jahrhundert geboren und erst mit 95 Jahren verstorben, gehört Paul Müller-Zürich zu den Komponisten, die heute weitgehend unbekannt sind. Das mag zum einen daran liegen, dass er in der Zeit der Auflösung der Tonalität dieser trotzdem treu blieb.
Er war 40 Jahre lang Lehrer für Theorie am Konservatorium in Zürich, nach dem Rücktritt von Volkmar Andreae auch für Komposition und Dirigieren. Er blieb zeitlebens seiner Heimat treu, er nahm sogar auf Anraten die Ortsbezeichnung in seinen Namen auf. Trotz dieser schon namentlichen Unverwechselbarkeit ist er nur Eingeweihten gewärtig, woran diese Aufnahme des bekannten ‘CasalQuartett’ vielleicht Abhilfe schafft.
Die Interpreten haben die Substanz der Musik schätzen gelernt und die Interpretationen konnten sich dann aus der Qualität und der Persönlichkeit der Musik heraus entwickeln. Klassische feine Verarbeitung, die den Ideenfluss maßhaltend strukturiert, schafft Musik, die mit ihrer geweiteten Tonalität ohne chromatische Intensität auskommt, wie etwa bei Max Reger, und somit einen sofort verständlichen Charakter bewahrt, ohne zu langweilen.
Das Quartett des jungen Paul Müller braucht sich vor großen Gattungsbeiträgen nicht zu verstecken und zeigt gleichzeitig bei mancher Nähe zu Bekanntem doch die den Komponisten ausmachende Eigenständigkeit. Müller, der selber Bratsche spielte, hat kurz vor dem Quartett bereits das Quintett mit doppelter Bratschenbesetzung geschaffen, das sich an den wenigen Vorgängern in dieser Besetzung messen lässt und mit der Tonartwahl F-Dur die Nähe zu dem entsprechenden Werk von Brahms nicht scheut, was es auch nicht muss. Etwa ein viertel Jahrhundert später folgt das Trio, das ebenfalls ein Kind seiner Zeit ist und trotzdem auch ins 18. Jahrhundert zurückblickt. In allen drei Werken hat Müller überzeugende Gattungsbeiträge geschaffen, die es lohnen, nicht wieder in der Schublade zu verschwinden.
Das ‘CasalQuartett’ – und der Bratschist Razvan Popovici im Quintett, der als Kammermusiker vielleicht vor allem aus dem Ensemble Raro bekannt ist – haben diese Musik für sich entdeckt und mit ihrem hingebungsvollen Einsatz allen Stärken der Stücke mit Leben gefüllt. Mangels schwacher Momente der Musik weist auch das Spiel der Musiker keine Mängel auf, so dass diese Aufnahme eine Entdeckung ist. Das ‘CasalQuartett’ hat sein handwerkliches Können mit Klarheit und einem sehr ausgeglichen Spiel gepaart, wodurch die Musik sehr rhetorisch erklingt und die melodische Einfallskraft des Komponisten anregend beleuchtet wird. Was will man mehr, zumal auch Popovici dieses Konzept mitträgt und ebenfalls die technische Realisierung mit einem angenehmen durchsichtig warmen Klang keine Wünsche offen lässt.