Krzysztof Penderecki hält die menschliche Stimme für das schönste je erschaffene Instrument und behauptet, er entdecke in ihr immer wieder neue Aspekte, die ihn interessieren, und daher gebe es keine Grenzen für ihn, wenn es darum geht, für die Stimme zu schreiben. Das hat er in den letzten 60 Jahren ausgiebig getan, und das gestrige Konzert beim Warschauer Penderecki-Festival aus Anlass seines 80. Geburtstags gab uns die Möglichkeit, die Extreme davon zu bewundern.
Beim 2. Warschauer Wettbewerb Junger Polnischer Komponisten im Jahre 1959 erhielt Penderecki für seine Werke ‘Emanationen’, ‘Strophen’ und ‘Aus den Psalmen Davids’ alle drei zu vergebenden Preise. Die beiden letztgenannten Werke standen auf dem Programm der ersten Konzerthälfte, die jedoch mit dem ‘Canticorum Canticum Salomonis’ begann, einer ebenso sinnlichen wie im Klangteppich komplexen Auseinandersetzung mit dem Lied der Lieder.
Mit ‘Strophen’ hörten wir ein klanglich sehr ausgedünntes und spannungsvolles Werk über Originaltexte von Menander, Sophokles, Jesaja, Jeremia und Omar El-Khayám in den Sprachen Griechisch, Hebräisch und Persisch.
‘Aus den Psalmen Davids’ war die farbigste der drei Kompositionen, mit zum Teil wundervoll ätherischem Gesang, der immer wieder von komplexen Schlagzeugrhythmen vorangetrieben wurde.
In diesen insbesondere für die Sänger höllisch schwierigen Werken bestachen die Sopranistin Olga Pasiecznik und die hervorragende ‘Camerata Silesia ‘sowie das AUKSO Kammerorchester Tychy unter Marek Moś.
Symphonie und gewaltiges Chorwerk mahlerianischen Ausmaßes ist ‘Seven Gates of Jerusalem’, die 7. Symphonie, Pendereckis meist aufgenommenes Werk und für mich in seiner Geschlossenheit und in der Kraft seiner Botschaft eines der besten und bewegendsten, mit seinem von Unsicherheit und beklemmender Gottesfurcht gezeichneten Gesang der Hoffnung: « Singet dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn, alle Länder der Erde! » Dieses musikalisch-religiöse Bekenntnis, dieses hymnische Gotteslob ‘Magnus Dominus et laudabilis nimis in civitate’ wurde von den Solisten Izabela Matula, Izabela Klosińska, Agnieszka Rehlis, Adam Zdunikowski, Wojtek Gierlach sowie Chor und Orchester der Warschauer Philharmonie unter dem neuen Chefdirigenten Jacek Kaspszyk grandios aufgeführt, weniger vergeistigt als vom Komponisten selber in seiner neuen Dux-Aufnahme, aber ebenso hymnisch und erhebend.
Ein spezielles Lob gilt dem aus Chicago eingeflogenen Kantor Alberto Mizrahi, der im sechsten Satz, dem dramatischsten der weitgehend in Latein geschriebenen Komposition, den hebräischen Text des Propheten Ezechiel in packender Weise vortrug.
Die klare Strukturierung von Kaspszyks Dirigieren trug dazu bei, die beispielhafte Textbehandlung Pendereckis hervorzuheben, die der Komponist ja überaus sorgfältig vorgenommen hat, indem er die Texte quasi dem Musikalischen unterordnete, das Wort als inhärenten Teil des Komponierens ansah. Wichtig ist auch die Wiederholung von Motiven und rhythmischen Figuren, welche die kompositorische Linie deutlich werden lassen und das Werk vereinheitlichen, ohne es seines Reichtums zu berauben, der in dieser wahrhaft gigantischen Aufführung in der sehr präzisen und räumlichen Akustik der Warschauer Philharmonie brillant zum Ausdruck kam und zu einem Klangerlebnis erster Güte führte. Die Aufführung war ganz einfach überwältigend.
Remy Franck, Warschau 22-11-13