In keinem anderen Werk hat Krzysztof Penderecki seine Ausdruckskraft und seine klangfigurative Sprache in derart raffinierter Weise verbunden wie in seiner Achten Symphonie, einem Werk, das ihn auch als Menschen vielleicht am stärksten charakterisiert. Im direktem Kontakt mit der Natur in Luslawice, wo er sein riesiges Arboretum gepflanzt hat, stellte er unter dem Motto des Baumes eine Gedichtanthologie zusammen, aus der eine musikalisch-philosophische Reflexion über die Vergänglichkeit menschlichen Lebens entstand. Ausgehend von Eichendorffs „wunderbarem Nachtgesang“, sieht er mit Rilke “seit einer Zeit, wie alles sich verwandelt”, stellt mit Eichendorff fest wie “Da draußen, stets betrogen, Saust die geschäft’ge Welt,” die er jedoch betreten kann, mit der Kraft des Waldes, “So wird mein Herz nicht alt”. Und am Ende wartet nicht der düstere Tod, sondern die Transzendenz: “Es ward mein Sinn erheitert, Die Welt mir aufgetan, Der Geist in Gott erweitert, Unendlich ist die Bahn!“ Die Zusammenstellung dieser Gedichte ist allein schon ein Meisterwerk. Der interessierte Leser findet die Anthologie am Ende dieses Berichts in voller Länge.

Die Symphonie, 2005 in der Urfassung in Luxemburg uraufgeführt, wurde 2007 um mehrere Lieder erweitert und ist erst in dieser vollständigen Form eigentlich kohärent. Sie erfuhr gestern Abend in der Warschauer Philharmonie eine bewegende Aufführung unter dem souverän und extrem präzise dirigierenden Lukasz Borowicz, der die Eindringlichkeit der Musik wunderbar herausarbeitete. Die ‘Sinfonia Iuventus’ und der Chor aus Krakau waren ihm dabei hilfreiche Instrumente. Michaela Kaune hatte abgesagt, was es uns erlaubte, die Sopranistin Iwona Hossa zusammen mit der Mezzosopranistin Agnieszka Rehlis zu hören, die mit ihren mächtigen und doch so warm leuchtenden Stimmen ein ideales Duo bildeten, neben dem Bariton Mariusz Godlewski einen durchaus guten Eindruck machte.

Begonnen hatte das Konzert mit dem Flötenkonzert, in dem die alerte Flöte in der prominent mitwirkenden Klarinette ihr dunkel-geheimnisvolles Alter Ego findet. Lukasz Dlugosz war der kompetente Solist, Jesús López-Cobos ein die Partitur bestens verwaltender Dirigent.

Im zweiten Stück konnte die Polnische ‘Sinfonia Iuventus’ besonders glänzen, dieses herausragend gute Jugendorchester, in dem nur die besten jungen Musiker eine Chance bekommen, sich im Metier zu perfektionieren.

Rafael Payare leitete ‘De Natura Sonoris III’, die 2012 entstandene dritte Komponente des gleichnamigen Zyklus’, der 1966 in radikaler Tonsprache begonnen hatte und mit diesem rezenten Teil in souverän-abgeklärter Weise beendet wurde.

Mit dem ‘Largo für Cello und Orchester’ ging der erste Teil des Abends zu Ende, Pendereckis Lieblingsinstrument in den Mittelpunkt stellend. Rostropovich, für den der polnische Komponist bereits das 2. Cellokonzert komponiert hatte, war der Auftraggeber dieser Komposition, dem letzten neuen Werk, das Rostropovich einstudieren und spielen wollte. Das geschah im April 2005 im Wiener Musikverein. Nach Rostropovichs Tod im Jahre 2007 gab Penderecki dem erweiterten Stück den Untertitel ‘Abschied’.

Dirigent Maximiano Valdes steuerte die Höhepunkte sicher an und erlaubte es der Musik, immer wieder sehr formvollendet und logisch zu ihrer inneren Ruhe zurückzufinden. Claudio Bohorquez war der Sänger am Cello, der die die langen Kantilenen und die ‘Seufzermotive’ der Komposition absolut hinreißend spielte, oft im Dialog mit der wiederum sehr stark geforderten Klarinette und den Cellisten des Orchesters. Das Largo ist eigentlich ein wunderbares ‘Concerto Grosso’.

Jubel für alle Beteiligten, und eine Bestätigung für Elzbieta Penderecka, dass sie einmal mehr eine sehr glückliche Hand hatte, als sie die Besetzung und das Programm dieses dritten Abends des Penderecki Festivals zusammenstellte.             Remy Franck, Warschau 21-11-2013

***

Joseph von Eichendorff: Nachts

Ich stehe in Waldesschatten
Wie an des Lebens Rand,
Die Länder wie dämmernde Matten.
Der Strom wie ein silbern Band.
Von fern nur schlagen die Glocken
Über die Wälder herein,
Ein Reh hebt den Kopf erschrocken
Und schlummert gleich wieder ein.
Der Wald aber rühret die Wipfel
Im Traum von der Felsenwand,
Denn der Herr geht über die Gipfel
Und segnet das stille Land.

Rainer Maria Rilke: Ende des Herbstes (Strophe 1)

Ich sehe seit einer Zeit,
Die alles sich verwandelt.
Etwas steht auf und handelt.

Joseph von Eichendorff: Bei einer Linde

Seh’ ich dich wieder, du geliebter Baum,
In dessen junge Triebe
Ich einst in jenes Frühlings schönstem Traum
Den Namen schnitt von meiner ersten Liebe?
Wie anders ist seitdem der Äste Bug,
Verwachsen und verschwunden
Im härtren Stamm der vielgeliebte Zug,
Wie ihre Liebe und die schönen Stunden.
Auch ich seitdem wuchs stille fort, wie du
Und nichts an mir wollt’ weilen,
Doch meine Wunde wuchs – und wuchs nicht zu
Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.

Karl Kraus: Flieder
Nun weiß ich doch, ’s ist Frühling wieder.
Ich sah es nicht vor so viel Nacht
und lange hatt’ ich’s nicht gedacht.
Nun merk’ ich erst, schon blüht der Flieder.
Wie fand ich das Geheimnis wieder?
Man hatte mich darum gebracht.
Was hat die Welt aus uns gemacht!
Ich dreh’ mich um, da blüht der Flieder.
Und danke Gott, er schuf mich wieder,
indem er wiederschuf die Pracht.
Sie anzuschauen aufgewacht,
so bleib’ ich stehn. Noch blüht der Flieder.

Hermann Hesse: Frühlingsnacht

Im Kastanienbaum der Wind
Reckt verschlafen sein Gefieder,
An den spitzen Dächern rinnt
Dämmerung und Mondschein nieder.
In den Gärten unbelauscht
Schlummern mondbeglänzte Bäume,
Durch die runden Kronen rauscht
Tief das Atmen schöner Träume.
Zögernd leg ich aus der Hand
Meine, warmgespielte Geige,
Staune weit ins blaue Land,
Träume, sehne mich und schweige.

Rainer Maria Rilke: Ende des Herbstes (Strophe 2)

Von Mal zu Mal sind all
die Gärten nicht dieselben;
von den gilbenden zu der gelben
langsamem Verfall:
wie war der Weg mir weit.
sag’ ich’s euch, geliebte Bäume?

Johann Wolfgang von Goethe: Sag’ ich’s euch, geliebte Bäume?

Die ich ahndevoll gepflanzt,
Als die wunderbarsten Träume
Morgenrötlich mich umtanzt.
Ach, ihr wißt es, wie ich liebe,
Die so schön mich wiederliebt,
Die den reinsten meiner Triebe
Mir noch reiner wiedergibt.
Wachset wie aus meinem Herzen,
Treibet in die Luft hinein,
Denn ich grub viel Freud und Schmerzen
Unter eure Wurzeln ein.
Bringet Schatten, traget Früchte,
Neue Freude jeden Tag;
Nur daß ich sie dichte, dichte,
Dicht bei ihr genießen mag.

Hermann Hesse: Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben Licht war,
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkle kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den anderen,
Jeder ist allein.

Hermann Hesse: Vergänglichkeit

Vom Baum des Lebens fällt
Mir Blatt um Blatt,
O taumelbunte Welt,
Wie machst du satt,
Wie machst du satt und müd,
Wie machst du trunken!
Was heut noch glüh
Ist bald versunken.

Rainer Maria Rilke: Ende des Herbstes (Strophe 3)

Jetzt bin ich bei den leeren
und schaue durch alle Alleen
Fast bis zu den fernen Meeren
kann ich den ernsten schweren
verwehrenden Himmel sehn.

Rainer Maria Rilke: Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Achim von Arnim: O grüner Baum des Lebens

O grüner Baum des Lebens,
In meiner Brust versteckt,
Laß mich nicht flehn vergebens!
Ich habe dich entdeckt.
O zeige mir die Wege
Durch diesen tiefen Schnee,
Wenn ich den Fuß bewege,
So gleit ich von der Höh.
Ich bliebe dir gern eigen,
Ich gäb mich selber auf, –
Willst du den Weg mir zeigen,
Soll enden hier mein Lauf?
Mein Denken ist verschwunden,
Es schlief das Haupt mir ein,
Es ist mein Herz entbunden
Von der Erkenntnis Schein.
Ich werd in Strahlen schwimmen,
Aus dieses Leibes Nacht,
Wohin kein Mensch kann klimmen,
Mit des Gedankens Macht.
Es ward mein Sinn erheitert,
Die Welt mir aufgetan
Der Geist in Gott erweitert,
Unendlich ist die Bahn!

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