Für die Eröffnung der Luxemburger Philharmonie im Jahre 2005 komponierte Krzysztof Penderecki im Auftrag der Luxemburger Regierung seine 8. Symphonie, Lieder der Vergänglichkeit. Remy Franck erinnert sich an die Vorbereitungen.
Er habe am Nachmittag noch an der Komposition für Luxemburg gearbeitet, versicherte uns der 72-Jährige polnische Komponist Krzysztof Penderecki nach einem Konzert, das er in Nizza dirigiert hatte, und er sei guter Hoffnung, das Werk termingerecht abliefern zu können. Dass man ihm Fragen über den Stand seiner Arbeiten stellt, ist er gewöhnt, denn in vielen Fällen hat er es nicht geschafft, die Komposition für den angefragten Zeitpunkt fertig zu stellen, trotz aller fürsorglichen Planungsarbeit seiner Frau Elzbieta, die ihn immer wieder auffordert, doch an seinen Aufträgen zu arbeiten. Aber ebenso beharrlich zeigt er, dass ein Komponist kein Automat ist, keine Maschine, die man einfach ein- und abschalten kann.
Doch gehen wir unseren Abend mit Penderecki in Nizza chronologisch durch. Zunächst besuchten wir das Konzert in dem historischen Opernhaus unweit der mondänen ‘Promenade des Anglais’. Das ‘Orchestre Philharmonique de Nice’ spielte unter Pendereckis Leitung sein Violinkonzert ‘Metamorphosen’ mit der exzellenten tschechischen Geigerin Vera Brodmann-Novakova als Solistin. Nachdem ich dieses für Anne-Sophie Mutter geschriebene Konzert mit der Widmungsträgerin sowie dem ‘London Symphony Orchestra’ unter der Leitung des Komponisten und danach in der Aufnahme mit der Koreanerin Chee-Yun unter Antoni Wit (bei Naxos) gehört hatte, bot sich eine weitere Gelegenheit, die Komposition erneut unter anderen Gesichtspunkten zu entdecken. Die Darbietung in Nizza unterschied sich erheblich von den beiden anderen Versionen, der opulenten und dramatischen Mutter-Fassung, der zupackenden und geschärften Interpretation unter Wit: In diesem Konzert bot sich uns das Werk in einer fast kammermusikalischen Transparenz an, weniger spannungsvoll, dafür aber entspannter und lyrischer. Und das macht ja dann gerade die Größe eines Werkes aus, wenn man es so verschiedenartig darstellen kann und beim Hörer die komparativen Fähigkeiten in Bewegung setzt.
Im zweiten Teil des Konzerts hörten wir eine ‘toscaniniesk’ schnelle und bei aller Lyrik nüchterne Neunte Dvorak. Das pulsierende Musizieren hatte schon sehr viel von neuer Welt und begeisterte das Publikum mit Recht, auch wenn das Orchester von Nizza sich technisch nicht besonders gut aus der Sache zog.
Nach dem Konzert war ich zu einem Abendessen mit Krzysztof Penderecki und seiner Gattin eingeladen, an dem auch noch der Verleger von Pendereckis Werken, Peter Hauser-Strecker, Inhaber des Schott-Verlags, die polnische Modeschöpferin Bozena Batycka, Adrien Meisch und Candace Johnson sowie Cornelia Much teilnahmen. Der von mir seit vielen Jahren tief verehrte Komponist sprach dabei – so wie er es knapper anderntags auch bei der Pressekonferenz der Luxemburger Regierung in Cannes bei der MIDEM tun sollte – von diesem neuen Werk, das er für das Eröffnungskonzert der neuen Philharmonie in Luxemburg schreibt. Es handelt sich dabei um eine Komposition, die vom Philharmonischen Orchester Luxemburg unter der Leitung von Bramwell Tovey am 26. Juni 2005 uraufgeführt werden soll, mit den Solisten Olga Pasichnyk, Sopran, die wir von Aufführungen des Staatstheater Wielki in Luxemburg in bester Erinnerung haben, Agnieszka Rehlis, Mezzosopran, dem hervorragenden polnischen Bariton Wojciech Dramowicz, sowie mit der Chorakademie Mainz.
Es ist ein profanes Werk, also eher ungewöhnlich für Penderecki, der im Vokalbereich, abgesehen von seinen Opern, bisher stets geistliche Musik schrieb. Sein neuer Liederzyklus wird auf Texte von Achim von Arnim, dem sehr frühen Bert Brecht, Joseph von Eichendorff, Johann Wolfgang Goethe, Hermann Hesse, Peter Hille, Karl Kraus und Rainer Maria Rilke komponiert. Diese Texte, die Penderecki mit sehr viel Sorgfalt und Liebe ausgesucht hat, fokussieren das Thema ‘Baum’, und das darf nicht erstaunen, denn der Komponist ist, wie einige Kollegen von ihm auch (John Williams, der ‘Five Sacred Trees’ schrieb, oder Toru Takemitsu), ein großer Liebhaber von Bäumen. Er sammelt seit 30 Jahren in aller Welt Samen und Stecklinge für sein Arboretum, den mit über 30 Hektar größten privaten Baumpark Polens, 100 Kilometer von Krakau entfernt auf seinem Landgut gelegen. Daraus sind inzwischen über 1.600 Baumarten gewachsen… « Dort, wo meine Bäume Wurzeln geschlagen haben, sind auch die meinigen ». Seinen Park will Penderecki als Lebensmetapher verstanden wissen: « Mein Wald ist ein großes Labyrinth. Darin irre ich umher, stets auf der Suche nach einem neuen Weg ans Ziel. Manchmal verirre ich mich auch. »
Die Komposition eines Gartens, so erläuterte der Komponist, habe für ihn viel mit dem Komponieren eines Musikwerkes zu tun: « Der Garten ist doch mathematisierte Natur, so wie Musik mathematisierte Emotion ist. » Ohne das Pflanzen von Bäumen, meint Penderecki, fände er kein Gleichgewicht in seinem Leben. Die Bäume aber, die ebenso wie das Kunstwerk « bleiben werden », also ihren Pflanzer oder Gestalter überleben, erteilten uns « die Lehre, dass ein Kunstwerk immer doppelt verwurzelt sein muss: im Himmel und auf der Erde. » Der Komponist kann stundenlang über die Bäume sprechen, so wie er auch stundenlang mit ihnen, den Bäumen im Dialog stehen kann. Gerade in Bezug auf die Bäume stellt sich für ihn das Thema der Vergänglichkeit, das ebenfalls in dem neuen Liederzyklus eine maßgebliche Rolle spielt.
Dass Penderecki das Thema ‘Baum’ gewählt hat, ist natürlich besonders schön und beziehungsvoll, da der Architekt Christian de Portzamparc ursprünglich die Philharmonie mit einem dreireihigen Kreis von Bäumen umgeben wollte und diese Idee schließlich architektonisch mit den in drei Reihen stehen Säulen in sein Projekt eingegliedert hat. So ergibt sich ein wunderschöner und fast ergreifender Zusammenhang zwischen dem Stück und dem Haus, für dessen Einweihung es geschrieben wird.
Für Krzysztof Penderecki geht mit diesem Liederzyklus ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung. « Ich wollte immer schon ein profanes Werk schreiben und es sollte auch ein Liederzyklus sein. Ich bin jetzt froh, für diese Gelegenheit, diesen symphonischen Zyklus zu schreiben, der mich von der Form her jetzt schon ein bisschen an die Vierzehnte Symphonie von Dmitri Shostakovich erinnert », verriet uns der Komponist. Das Stück war Ende Januar zu zwei Drittel fertig gestellt. « Ich schreibe ständig daran », sagt Penderecki, und er wollte das auch in China tun, denn er flog von Nizza nach Shanghai, um dort ein Konzert zu dirigieren und Meisterkurse zu geben.
Es war halb zwei in der Nacht, als wir uns verabschiedeten, und er erinnerte kurz vor dem Verabschieden noch einmal an diese Reise nach China, in die er große Erwartungen setzte und auf die er sich sichtlich freute. Kraftvoll war der Händedruck, dezidiert und forsch der Gang zum Hotel. Penderecki immer noch in Aufbruchsstimmung, auch mit 72 Jahren!