Wenn der Jubilar die Geschenke mitbringt und damit die Gäste verwöhnt, ist das eine Umkehrung des Üblichen. Zum anstehenden fünfzigsten Geburtstag des ‘Nationalen Jugendorchesters der Bundesrepublik Deutschland’, wie es ganz korrekt heißt, eröffnete dieses das Konzertjahr in der Philharmonie in Luxemburg unter der Leitung von Kirill Petrenko. Pizzicato-Mitarbeiter Uwe Krusch gehörte zu denen, die die Gaben genießen konnten.
Allgemein als ‘Bundesjugendorchester’, BJO, bekannt, setzt sich dieses Ensemble aus 14- bis 19-jährigen Musikern zusammen, die größtenteils eine professionelle Laufbahn anstreben. Für dieses Projekt wurden nach den Vorspielen 110 Musiker ausgewählt, die sozusagen die Elite des in Deutschland ausgebildeten Nachwuchses sind. Dabei zeigen die Namen und Gesichter im Konzertsaal aber auch die Breite der Herkunft, die einen weltweiten Hintergrund spiegelt. Dabei ist das ‘Alter’ des Klangkörpers gar nicht aussagekräftig für die jeweilige Qualität, da aufgrund der Altersbegrenzung ein fortlaufender Wechsel erfolgt, anders als in einem professionellen Orchester, das die Mitspieler Stück für Stück austauscht. Die Musiker eines so jungen Orchesters sind herausragend ausgebildet und motiviert, dafür fehlt ihnen eine Portion Erfahrung. Daher ist es immer die Aufgabe der jeweiligen Probenleiter und des Dirigententeams, diesen Nachteil der Jugend so zu lenken, dass das Ergebnis trotzdem überzeugt. Wie exzellent das bei der aktuellen Programmgestaltung gelang, zeigte sich gleich im Auftaktkonzert der Tournee in der Philharmonie.
Das Programm war auf Werke des 20. Jahrhunderts fokussiert und eröffnete mit den ‘Symphonischen Tänzen’ aus der ‘West Side Story’ von Leonard Bernstein. Dieses Werk fasst eine Vielzahl von Sätzen in ununterbrochener Folge aneinander, die die verschiedensten Temperamente und Farben zusammen fügen und Bernstein als Magier mitreißender Musik in meisterhafter Kompositionsweise zeigen. Der rege Wechsel an Farben und Tempi macht dieses Werk, wie alle Stücke des Abends, für ein Orchester sehr anspruchsvoll.
Dank des sehr akribischen, aber nicht kleinteilig einengenden Dirigats von Kirill Petrenko wurde bereits dieser Auftakt zum genussvollen Einstieg. Dabei gelang es den jungen Leuten unter der einhegenden Stabführung des Russen, den symphonischen Charakter glänzend einzufangen und trotzdem die Lebenslust der Musik zu transportieren. Andere mögen hier laxer und damit auf den ersten Blick noch beschwingter agieren. Aber gerade die gezielte Herausarbeitung der kompositorischen Finessen unter Wahrung der Vorgaben zeigt die Größe des Werkes – und der Darbietung.
Als Solokonzert erklang das Paukenkonzert von William Kraft. Dieser aus Chicago stammende Musiker, selber Schlagzeuger, Dirigent und Komponist, hat u. a. fünfundzwanzig Jahre in Los Angeles gelebt und mit Stravinsky zusammen Aufnahmen eingespielt. Als Komponist hat er sich auch seiner Instrumentengruppe, hier speziell den Pauken, zugewandt. Der Solopart zeigt die Schwierigkeiten, aber auch Raffinesse der Komposition, die neben dem Einsatz diverser Paukenschlägel von beiden Enden auch den Einsatz der, zeitweise behandschuhten, Finger vorsieht und so ein breiteres Klangspektrum ermöglicht, als es in der üblichen Literatur verlangt wird. Neben einer Gruppe weiterer Schlagzeuger hat das Orchester einen durchaus schwierigen Part beizutragen, der etwa trotz langer Pause am Ende eine teuflisch schwierige Tuttipassage fordert. Auch hier leitete Petrenko das Kollektiv souverän und mit klarer Zeichensprache, so dass diese heiklen Momente mit voller Konzentration, Können und wirkungssicher eingestreut werden konnten.
Der Solist Wieland Welzel, Solist bei den Berliner Philharmonikern, die auch Paten des BJO sind, konnte mit spielerischer Leichtigkeit sie Finessen des Soloparts, mitten in das Orchester eingebettet, auskosten und so das üblicherweise immer hinten am Rand stehende Instrument ins Rampenlicht rücken. Dank solchen Einsatzes kam die Hörerschaft in den Genuss eines kaum bekannten Werkes, wie es sich in den gewöhnlich langweiligen Programmierungen der reisenden Orchester eher selten finden lässt.
Den Abschluss bildete sozusagen der Klassiker, ‘Le Sacre du Printemps’ von Stravinsky. Heutzutage ist der mit der Uraufführung verbundene Skandal nur noch im Programm erwähntes Beiwerk. Da viele Orchester dieses Werk zur Darstellung ihrer Fähigkeiten aufführen und die Hörgewohnheiten des Publikums sich weiter entwickelt haben, kommt ihm heute Kanoncharakter zu und niemand erschrickt mehr. Vielmehr genießen die Hörer das Werk und stürzen sich auch hier wieder mit ihrem Applaus in den letzten Ton, damit auch jeder weiß, dass sie es kennen. Ob das wirklich der Fall ist, sei dahin gestellt. Jedenfalls darf man attestieren, dass auch das BJO dieser besonderen Herausforderung ohne Wenn und Aber gewachsen ist. Diverse Solisten oder auch Instrumentengruppen durften sich effektvoll präsentieren, wie z. B. das Fagott gleich zu Beginn. Doch auch das Zusammenspiel aller Gruppen wurde intensiv gefordert. Petrenko gelang es auch hier, trotz der Vielfalt der Momente, die Linien und Zusammenhänge zeichnen zu lassen und zu konturieren und so das Bild des heidnischen Russlands mit heißer Glut und wildem Leben zu wecken, ohne dabei blutrünstig zu werden.
Aufbrandender Applaus auch im Orchester für den Dirigenten und die Solisten sowie des Publikums für die grandiose Eröffnung des Kalenderjahres in der Philharmonie in Luxemburg huldigten einem der herausragenden Kulturbotschafter der Bundesrepublik Deutschland. Danke für die ersten 50 Jahre und auf die nächsten.