Die diesjährige Ostertournee des Gustav Mahler Jugendorchesters mit Musik aus den Zeiten der beiden Weltkriege führt das Orchester zu zwölf Auftritten in zehn Spielstätten. Wie der zweite Auftritt, für den die Philharmonie in Luxemburg den Rahmen bot, gelang, berichtet Uwe Krusch.
Vor einundzwanzig Jahren gegründet, hat sich das Gustav Mahler Jugendorchester schnell von einem lokalen Ensemble, in dem Musiker aus Österreich, der Tschechoslowakei und Ungarn schon zu Zeiten, als es noch die politischen Blöcke in Europa gab, zu einem europäischen Klangkörper entwickelt. In diesem Frühjahr haben die bis zu 26 Jahre alten Musiker nicht nur wegen des nach wie vor winterlichen Wetters ein Programm mitgebracht, das den Hörer erschauern lässt. Während sich das Programm A mit Werken aus der Zeit des Ersten Weltkriegs befasst, bringt das zweite, das in Luxemburg zu hören war, solche von 1940 und 1943, also aus dem Zweiten Weltkrieg.
Man kann viel über die Entstehung der Werke und das außermusikalische Umfeld lesen, aber wenn man diese Musik einfach hört, vielleicht besser ‘erträgt’ mit ihren grotesken, trauernden, anklagenden Aufschreien, dann zuckt man zusammen und hat, wie einige Bekannte noch im Banne der Musik hinterher zu mir sagten, plötzlich Angst, wenn man gerade vorher erfahren hat, dass in Deutschland Straßen für Panzer ertüchtigt werden, um ggf. die baltischen Staaten zu schützen.
Und wenn man allgemein teilweise hochintelligente, aber dumm herrschsüchtige Potentaten in der westlichen und der östlichen Welt sieht, die ständig leichtfertig mit dem Feuer spielen, dann müsste man sie zwingen, etwa eine Achte Symphonie von Shostakovich so lange immer wieder zu hören, bis sie menschliche Züge annehmen.
Der Einstieg in das Konzert begann mit einem selten zu hörenden Konzert, nämlich dem für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester von Bela Bartok. Im Ursprung hatte er dieses Werk als Sonate nur für die Solinstrumente, also Pianos und Schlagzeug im Auftrag des Schweizer Mäzens Paul Sacher komponiert. Bartok schien die Balance zum Schlagzeug nur dann gegeben, wenn zwei Klaviere eingesetzt würden. Dabei spielen die beiden Tasteninstrumente durchaus nicht gemeinsam, sondern mit eigenen Stimmen. Aber im Zusammenklang werden sie, ebenso wie das Schlagzeug, vor allem perkussiv eingesetzt. Drei Jahre nach der Sonatenfassung schuf Bartok 1940 die Orchesterversion, die er ebenso zusammen mit seiner Frau an den Pianos aufführte. Die Solisten des Abends waren neben Schlagzeugern aus dem Orchester die beiden Pianisten Pierre-Laurent Aimard und Tamara Stefanovich, die das Stück schon mit anderer Begleitung mustergültig eingespielt haben.
Die Aufführung in Luxemburg war von Anfang an von höchster Konzentration auf dem Podium und auch weitgehend davor geprägt. Die Ausgewogenheit des Klangs innerhalb des Solistenensembles war zumindest vom Platz des Rezensenten gegeben mit leichten Vorteilen von Aimard gegenüber Stefanovich. Der Orchesterbalance war dagegen nicht perfekt wahrzunehmen. So gingen die hohen Streicher doch etwas unter. Dennoch ergab sich insgesamt ein das Werk erhellendes Spiel mit gespannten feinsten Nuancen.
Die beiden Solisten an den diversen hinter den Flügeln platzierten Schlaginstrumenten konnten vom sensiblen Beginn bis zu den ersterbenden Trommelklängen am Ende sowohl für sich thematisch, kontrapunktisch oder auch als akzentuierende Ergänzung zu den Pianos mit dem rhythmussicheren und strukturierten Spiel überzeugen. Sie machten deutlich, dass die Solisten durchaus gleichwertig zu hören sind. Die Pianisten überzeugten mit einem höchst engagierten Vortrag. Man konnte ihnen die Spannung, aber auch die Begeisterung an der Musik durchaus ansehen. Wenn natürlich auch die perkussiven Elemente dieser Musik die lyrischen überwiegen, so wechselten die Pianisten trotzdem problemlos zwischen diesen Welten und konnten auch nach den beiden ersten Sätzen, die den Spuk der faschistischen Anfänge in Ungarn austanzen, in die etwas befreitere Welt des dritten Satzes übergleiten. Insgesamt konnte die Darbietung dieses Werk aber den Zuhörer nicht überwältigen, aber dazu ist es vielleicht auch von sich aus zu spröde.
Der Koordinator bei Bartok wie auch bei der dann folgenden Achten Symphonie von Shostakovich war der z. Z. beim Rundfunk Sinfonieorchester Berlin beheimatete Vladimir Jurowski. Mit einer sehr klaren und pointierten Zeichengebung mit der rechten Hand für den Rhythmus und die Einsätze und der dezidierten Untermalung des musikalischen Ausdrucks in der linken Hand, gab er die Details vor. Darüber hinaus konnte er die Spannungsbögen so gestalten, dass sie weder zu früh verbraucht wurden, sich andererseits aber auch groß entwickeln konnten.
Während bei einem Solokonzert natürlich die Begleitung des Dirigenten zunächst bei den Solisten liegt, kann sie sich bei einer Symphonie ganz auf das Orchester konzentrieren. Und das gelang herausragend. Die Gesamtkonzeption wie auch die Realisation in den Details führte zu einem in die Abgründe menschlicher Nöte und Stimmungen mitreißenden Ergebnis, das natürlich in erster Linie durch das famose Spiel des Orchesters getragen wurde.
Kleinsten Wacklern am Anfang des Englischhornsolos und im Zusammenspiel der ersten Violinen standen ansonsten Leistungen gegenüber, die jedem guten Orchester würdig wären. Neben feinen Einzelleistungen bei den ersten Holzbläsern, Englischhorn und Piccolo, Trompete, Horn und Streichersolisten glänzten die chorisch besetzten Streicher mit Homogenität und dem jeweiligen musikalischen Kontext angepasstem Klang, von Schlagwerk bis Wohlklang. Eigentlich wäre es fast ungerecht, eine Gruppe besonders herauszuheben, aber die Blechbläser konnten selbst bei schärfsten Aufschreien einen runden warmen Klang erzeugen. Nach dem ersterbenden Schluss brach dann die Spannung des Publikums zu langanhaltendem Applaus.
Vielleicht noch ein Wort zur Publikumsdisziplin. Am leisesten und bis auf ein Nickerchen aufmerksamsten schien die Dreijährige (?) vor mir, die auf einem hohen Podest sitzend, um überhaupt die Lehne vor ihr überblicken zu können, bis zum Ende aufmerksam zuhörte und nur kindgerecht sich die Ohren an den lautesten Stellen zuhielt. Davon könnten sich viele Zuhörer, die den Takt auf dem Programmheft klatschen, schwätzen, husten oder anderweitig den Eindruck erwecken, sie wären lieber in der Kneipe, durchaus mal eine Scheibe abschneiden.