Manchmal ist die Zuordnung in eine Konzertreihe gar nicht so einfach. Denn ein Konzert mit den St. Petersburger Philharmonikern könnte auch in der Reihe ‘Große Orchester’ stattfinden. Da es gleich zu Beginn zusammen mit Yefim Bronfman auftrat, gelangt es zu der Reihe ‘Große Solisten’. Aber diese Zuordnung wird auch nebensächlich, wenn die Darbietung überzeugt. Wie Prokofiev und Shostakovich ankamen, hat Uwe Krusch für Pizzicato gehört.
Der Abend startete gleich mit einem beliebten Werk, nämlich dem zweiten Klavierkonzert von Sergei Prokofiev. Diese Komposition ist eine der bekannteren der Moderne. Sie enthält neben den für den expressionistischen Ausdruck typischen dissonanten Passagen auch ausgedehnte romantische Abschnitte. Das Konzert ist in vier Sätze untergliedert. Ausgedehnte Ecksätze rahmen die beiden mittleren. Der erste davon, das Scherzo ist mit nicht einmal drei Minuten ein quirliges, um nicht zu sagen teuflisch rasantes Spiel.
Bronfman ist ein Pianist, den technische Herausforderungen nicht schrecken, die in dem Werk zu Hauf zu finden sind. Aber die sichere Beherrschung der Voraussetzungen ermöglicht es ihm auch, sich dem interpretatorischen Ansatz zu widmen. Perlend klare leichte Strukturen zaubert er ebenso wie harsche Zugriffe, wenn die Musik diese verlangt. Das Zusammenwirken mit Yuri Temirkanov, der auf inzwischen achtzig Lebensjahre blicken kann, und dem von ihm geleiteten Orchester gestaltet sich nahtlos dicht. In einem Stück wie diesem kommt dem Orchester wahrlich nicht nur eine begleitende Nebenrolle, sondern ein eigener anspruchsvoller Part zu. Diesen nimmt das Orchester mit Leichtigkeit und Spielfreude an, ohne den Solisten zuzudecken. So gelingt eine die Komposition ziseliert darstellende Interpretation, die trotzdem ein wenig an Glanz vermissen lässt. Irgendwie könnte man sich die Musik noch feiner artikulierter, spitzer und durchhörbarer vorstellen. Auch hätten die kräftigen Zugriffe vielleicht noch markanter sein können.
Insbesondere wenn man bedenkt, dass Prokofiev ein selbstsicher pointiert auftretender Mensch und Musiker war, hätte ein wenig Brillanz mehr nicht geschadet. Shostakovich dagegen war von Natur aus zurückhaltend und scheu. Seiner Musik war er sich jedoch auch sicher und insofern zweifelte er nicht an ihr. Aber sein Verbleib in der Sowjetunion und die daraus resultierenden massiven Einwirkungen auf sein Leben waren nicht förderlich für sein persönliches Auftreten.
Nach dem halbstündigen Klavierkonzert erklang die einstündige 13. Symphonie dieses großen Symphonikers des 20. Jahrhunderts. Neben großer Besetzung des Orchesters benötigt die Aufführung die menschliche Stimme, da das Gedicht Babi Yar von Yevgeny Yevtushenko diese Komposition initiierte und prägt. Das dargestellte Leid der Ermordung von 34.000 Juden im namensgebenden ukrainischen Ort Babi Yar wird durch einen Bass und einen Männerchor in Worten ausgedrückt.
Dieses nicht alle Tage zu hörende Werk, was sowohl am Thema als auch an den Anforderungen an die Besetzung liegen mag, bot ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass ein unvertrautes Stück mehr überzeugen kann als mancher Reißer im Programm. Sowohl Orchester als auch Dirigent sind mit Shostakovich vertraut und diese Sicherheit merkt man der Darbietung an. In allen Stimmen und Registern entfaltet das Ensemble sein Können. Temirkanov, der auch diese groß besetzten Werke ohne Taktstock dirigiert, ist ein sicherer und aufmerksamer Stichwortgeber. Mit seinen nicht an einen Stab gebundenen Fingern schafft er inspirierende Bewegungsbilder, die vom Salzstreuen bis hin zur zielgerichteten Spielaufforderung reichen. Wie so viele Dirigenten fortgeschrittenen Alters wirkt er auf dem Weg unsicher, um dann auf dem Pult aufzublühen.
Die Gesangsbeiträge werfen ein besonderes Licht auf dieses Werk und sie lassen sich mehr als hören. Petr Migunov als Solist für den Bass hat eine seiner Statur und Jugend entsprechende frische und jugendliche Stimme. Er singt nuanciert und, soweit ich in Unkenntnis der russischen Sprache das nachvollziehen konnte, sehr textverständlich. Vielleicht hätte ein älterer Kollege dem Thema entsprechend noch mehr Schwere einbringen können, aber auch so gelang eine überzeugende Leistung. Er schien ein wenig am Notentext zu kleben, als ob er das Werk nicht wirklich kennen würde. Aber zum Glück war das hörbare Ergebnis nicht beeinträchtigt.
Ein besonderes Lob gebührt den Männern des Wiener Singvereins, die den Chorpart übernommen hatten. Ihr sonorer dunkel timbrierter Klang und eine sehr ordentlich klingende Aussprache ließen keine Wünsche offen.